Angesichts der neuen Korruptionsermittlungen mehren sich die Rücktrittsforderungen gegen den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) - auch vom grünen Koalitionspartner. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) traf sich am Freitag zu Beratungen mit den anderen Parlamentsparteien. Gegen den Kanzler bestünden "ganz gravierende, schwere Vorhalte", sagte Kogler vor dem Treffen. Daher seien Zweifel an der Handlungs- und Amtsfähigkeit des Bundeskanzlers berechtigt.
Grünen-Fraktionschefin Sigrid Maurer wurde noch deutlicher. Sie forderte die ÖVP auf, Kurz durch "eine untadelige Person" zu ersetzen. "Es ist ganz klar, dass so jemand nicht mehr amtsfähig ist", betonte sie. Die ÖVP hatte sich zuvor geschlossen hinter Kurz gestellt und hielt auch am Freitag weiter an ihrem Kanzler fest.
Grünen-Chef Kogler empfing am Freitagvormittag zunächst die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, wie die österreichische Nachrichtenagentur APA berichtete. "Es liegt an den Grünen zu entscheiden, ob sie das System Kurz weiter stützen und unterstützen wollen", sagte Rendi-Wagner demnach.
Für Bundespräsident Alexander Van der Bellen standen am Freitag Gespräche mit Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und dem FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl auf dem Programm, nachdem er sich am Donnerstag bereits mit Kurz und den Chefs von SPÖ und Grünen getroffen hatte. Über die Inhalte der Gespräche wurde zunächst nichts bekannt. Für Freitagabend (18.00 Uhr) kündigte Van der Bellen ein Statement zur aktuellen innenpolitischen Lage an, wie APA berichtete.
Am kommenden Dienstag kommt das Parlament in Wien zu einer Sondersitzung zusammen, in der die Opposition einen Misstrauensantrag gegen Kurz einbringen will. Ob die Grünen sich dem Antrag gegen ihren Koalitionspartner anschließen, ließen sie bislang offen.
Um einem Regierungsmitglied das Vertrauen zu entziehen, müssen mindestens 92 der 183 Abgeordneten den Misstrauensantrag unterstützen. Die ÖVP hält derzeit 71 Mandate im Nationalrat, mit Abweichlern in ihren Reihen ist nicht zu rechnen. Die ÖVP-Fraktion im Nationalrat stellte sich am Freitagmorgen erneut "einig und geschlossen" hinter Kurz.
Entscheidend sind also die Stimmen der Grünen-Fraktion, die mit 26 Abgeordneten im Nationalrat vertreten ist und dem Antrag der Opposition so die nötige Mehrheit verschaffen könnte. Auch wenn sich die Partei offiziell hinter Kurz stellen sollte, könnten sechs Abweichler aus den Reihen der Grünen ausreichen, um den Regierungschef zu stürzen.
Am Mittwoch war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft in Wien gegen Kurz und weitere Verdächtige wegen des Verdachts der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung ermittelt. Es wurden Büros im Kanzleramt und unter anderem der ÖVP-Parteizentrale durchsucht.
In der Affäre geht es um den Verdacht, dass positive Berichterstattung über Kurz in einer Zeitungsgruppe erkauft wurde, um dessen Karriere voranzutreiben. Genutzt wurden dafür laut Staatsanwaltschaft teils "manipulierte Umfragen". Im Gegenzug soll die Zeitung "Österreich" lukrative Aufträge für Anzeigen vom Finanzministerium bekommen haben. Die Vorwürfe gegen Kurz beziehen sich laut APA zum Großteil auf die Zeit, bevor er im Jahr 2017 ÖVP-Chef und dann Kanzler wurde. Zuvor war Kurz Außenminister.
Gegen Kurz laufen bereits Ermittlungen wegen des Verdachts der Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur sogenannten Ibiza-Affäre. Der Skandal hatte im Mai 2019 zum Bruch der Regierungskoalition zwischen Kurz' ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ sowie zu vorgezogenen Neuwahlen geführt.
by GEORG HOCHMUTH