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Zwei Tage nach Anschlag von Nizza orthodoxer Priester in Lyon angegriffen

Geistlicher wird schwer verletzt - Weitere mutmaßliche Nizza-Komplizen in Gewahrsam

Nur zwei Tage nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlag auf die Notre-Dame-Basilika im französischen Nizza ist in Lyon ein griechisch-orthodoxer Priester mit einer Schusswaffe angegriffen und schwer verletzt worden. Die Hintergründe der Tat am Samstag waren zunächst völlig unklar, ein Verdächtiger wurde festgenommen. Nach dem Angriff von Nizza wurden bis Sonntag sechs mögliche Komplizen des Täters in Gewahrsam genommen.

Nach Angaben der Ermittler wurde der griechisch-orthodoxe Priester am Samstagnachmittag aus nächster Nähe angegriffen, als er gerade seine Kirche abschloss. Ein Verdächtiger, auf den die von Augenzeugen abgegebenen Beschreibungen passten, sei festgenommen worden, sagte Staatsanwalt Nicolas Jacquet. Die Tatwaffe, vermutlich eine abgesägte Schrotflinte, wurde zunächst nicht gefunden. Das Opfer kam schwer verletzt ins Krankenhaus.

So kurz nach dem Angriff von Nizza, bei dem ein Tunesier am Donnerstag drei Menschen in der Kirche mit einem Messer angegriffen und getötet hatte, und nach der Enthauptung eines Lehrers in einem Vorort von Paris ließ der Angriff in Lyon erneut die Alarmglocken schrillen. Das Motiv für die Tat sei jedoch noch völlig unklar, hieß es aus Polizeikreisen. Staatsanwalt Jacquet betonte, die Ermittler schlössen keine Hypothese aus. Die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft sei jedoch vorerst nicht eingeschaltet.

Das französische Innenministerium richtete ein Krisenzentrum ein. Premierminister Jean Castex betonte, die Regierung sei fest entschlossen, "jedem zu ermöglichen, seinen Glauben in völliger Sicherheit und Freiheit zu praktizieren".

Der Präsident des Europarats, Charles Michel, verurteilte die "abscheuliche Tat". In Europa sei die Glaubensfreiheit für alle garantiert und "muss respektiert werden". EU-Parlamentspräsident David Sassolil sprach von einem "neuerlichen Anschlag". Europa werde sich "Gewalt und Terrorismus niemals beugen".

Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Griechenland, Ieronymos, verurteilte die Tat. "Dieses Grauen übersteigt das menschliche Fassungsvermögen - dass eine Religion die Terroristen bewaffnen kann, die vom Hass geblendet sind", sagte Ieronymos laut der griechischen Nachrichtenagentur ANA. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Glaube als Vorwand genutzt werde, um die Freiheit und die Glaubensfreiheit Anderer anzugreifen und "jede andere Überzeugung auszulöschen".

Nach dem Anschlag von Nizza nahm die Polizei derweil zwei weitere mögliche Komplizen fest. Damit waren am Sonntag insgesamt sechs mutmaßliche Helfer des Attentäters in Polizeigewahrsam. Der 21-jährige Tunesier Brahim Issaoui hatte laut Ermittlungen am Donnerstagmorgen in der Basilika Notre-Dame von Nizza drei Menschen getötet. Dabei soll er mehrfach "Allahu Akbar" (Gott ist groß) gerufen haben.

Der Täter sei erst kurz vor der Tat aus Italien nach Frankreich eingereist, sagte Innenminister Gérald Darmanin der Zeitung "Voix du Nord": "Offensichtlich ist er hierhergekommen um zu töten." Sobald er in Frankreich eingetroffen sei, habe der 21-Jährige mehrere Messer besorgt. Nach Angaben aus Ermittlungskreisen hielt Issaoui sich seit Dienstag in Nizza auf und wurde einen Tag vor dem Angriff nahe der Basilika von einer Überwachungskamera gefilmt.

Mitte September war er von Tunesien per Flüchtlingsboot auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa gelangt, seit dem 9. Oktober hielt er sich auf dem italienischen Festland auf.

by Von Frédéric GARLAN