Er starb im Alter von 82 Jahren
Der Auto-Gott ist tot. Weil aber Götter eigentlich nicht sterben können, hallt es bei der Nachricht vom Tod Ferdinand Piëchs (1937-2019) gewaltig nach: Dämon, Machtmensch, einsamer Wolf, Autokrat, Genie. Umschreibungen eines Wirtschaftslenkers, dem es bei Lebzeiten durchaus gefallen hat, eher gefürchtet als geliebt zu werden.
Ferdinand Piëch hat von 1993 bis 2015 den Weltkonzern Volkswagen AG geleitet, erst als Vorstandsvorsitzender, dann als Chef des Aufsichtsrates. Der hagere, asketisch wirkende Österreicher galt als eisenharter Patriarch vom alten Schlag: undurchsichtig, machtbewusst, zornig, rachsüchtig, bisweilen auch grausam. In seiner ruhigen, leicht stockenden und mit österreichischem Akzent Sprache haben Mitarbeiter sogar etwas Dämonisches wahrgenommen. Das ist die eine Seite.
Der bekannte Wirtschaftsjournalist Roland Tichy (63) hat einst sehr treffend auf die andere hingewiesen: “Man muss sagen: Ohne Ferdinand Piëch gäbe es VW längst nicht mehr. Er war eine dieser Ausnahmeerscheinungen, die es im glatten Controller-Kapitalismus nicht mehr geben darf. Größe und eine Portion Niedertracht, Genie bis zum Wahnsinn und Entschlusskraft zeichnen diesen ganz Großen unserer Wirtschaftsgeschichte aus.”
Piëch war jedoch nicht nur ein maßgeblicher Automanager. Gern wird seit vielen Jahren darauf verwiesen, dass er allein von seiner Abstammung her mehr Benzin als Blut in den Adern habe. Sein Großvater war Ferdinand Porsche (1875-1951), der geniale Autokonstrukteur, der in den VW-Käfer entwickelt hatte. Und sein Onkel Ferry Porsche (1909-1998), der Bruder seiner Mutter Louise (1904-1999), gründete in Stuttgart die Sportwagen-Firma Porsche.
Der Name Piëch stammt vom Vater. Der Wiener Rechtsanwalt Dr. Anton Piëch (1894-1952) hatte 1928 Louise Porsche geheiratet und von 1941 bis 1945 das Volkswagen-Stammwerk seines Schwiegervaters in der “Stadt des KdF-Wagens Fallersleben” (KdF = Kraft durch Freude), dem heutigen Wolfsburg, geleitet. Seine Frau Louise leitete nach dem Krieg die Porsche Holding in Österreich.
Sie war eine technisch sehr interessierte Frau, die ihren Sohn nach dem frühen Tod des Vaters eisenhart erzogen hat. Der “Burli”, wie der kleine Ferdinand genannt wurde, ist Legastheniker, sein Lehrer hält ihn für “zu dumm” zum Studieren.
Die Schule ist eine einzige Qual, denn die Mutter hat ihn in ein strenges Schweizer Internat gesteckt: “Ein typisches Abhärtungsinternat”, wie er später sagt. Die Schulleitung hat Zuträger in allen Gasthäusern der Umgebung, die genau mitteilen, welcher Zögling zu verbotenen Zeiten bei Bier oder Wein sitzt. Später wird es heißen, Piëch habe auch bei VW ein Informanten-System aufgebaut, das den Chef über alles im Konzern informiert.
Piëch wird zum Einzelgänger. “Weil man sich nicht verlassen kann”, sei er zum Alleingang verdammt, hat er einmal gesagt. Schon früh zeichnet sich eine gewisse Rivalität der Familienstämme Piëch und Porsche ab. “Ich bin ein Wildschwein, und ihr seid Hausschweine”, soll der Piëch seinen Porsche-Cousins zugerufen haben. Gemeint ist: Ferdinand muss sich alles selbst erarbeiten, während er glaubt, dass den Vettern alles in den Schoß fällt. Er selbst ist vorsichtig im Umgang mit der Verwandtschaft und schreibt später: “Es konnte zu einem Karriereknick führen, wenn ich mal jemanden aus der Familie zu knapp begrüßte.”
Immerhin: Zum 18. Geburtstag schenkt ihm die beinharte Mama standesgemäß einen Porsche 356. Nach dem Abitur studiert er an der renommierten ETH Zürich, die ihm später einen Ehren-Doktor verleihen wird. Er liebt Autotechnik und die Mutter stachelt ihn an. Sie schenkt dem Studenten zwei halbe Austro-Daimler, schwere Autos aus den 20er-Jahren. Er machte daraus ein himmelblaues Fahrzeug, das heute im Porsche Museum in Stuttgart steht. Nach acht Semestern präsentiert er seine Diplomarbeit: Der Porsche-Enkel konstruiert nicht weniger als einen luftgekühlten Zwölfzylinder-Formel-1-Motor.
Nach dem Studium steigt der junge Mann bei seinem Onkel Ferry Porsche ein. Er macht in der Sportwagen-Schmiede rasch Karriere als Entwicklungschef, dann ab 1971 als Technischer Geschäftsführer.
Der vor Ambition berstende Ingenieur unterstützt die Entwicklung des Porsche 917, “das ultimative Tier unter den Rennwagen”, wie er es selbst bezeichnet, ein “nützlicher Irrwitz”. Porsche-Werksfahrer sollen sich geweigert haben, den schwer beherrschbaren Renner an die technischen Grenzen zu fahren. 1969 kommt ein Rennfahrer in dem Geschoss bei der ersten Runde im 24-Stunden-Rennen von Le Mans ums Leben. Sein Leben lang ist Ferdinand Piëch stolz auf das Auto “mit den schlechten Manieren”.
1972 geht er zu Audi, wird Hauptabteilungsleiter in der technischen Entwicklung, dann Vorstandsmitglied für Technik. Ihm kann keiner etwas vormachen, denn er kann mit eigenen Händen einen komplizierten Motor auseinander- und auch wieder zusammenbauen. 1988 wird Piëch Vorstandsvorsitzender bei Audi. Bedeutende Innovationen wie der Quattro-Allradantrieb und der TDI-Motor gehen auf ihn zurück.
Als er zum 1. Januar 1993 neuer Chef bei VW wird, weinen ihm nur die eingefleischten Audi-Techniker nach, die Manager jedoch nicht. Sie sind vom Machtmenschen Piëch aber nicht erlöst, denn Audi gehört zu VW, und dort ist Piëch der unumschränkte Herrscher. Kampfgeist, Unerbittlichkeit und ein Schuss Genialität, aber auch Misstrauen und eine gute Portion Verfolgungswahn zeichnen den neuen VW-Lenker aus.
“Öffentlich wagt niemand den Hauch einer Kritik am gefürchteten Chef”, schreibt der “Spiegel”. “Er macht ja auch so schon genügend Leute fertig. Oft mit wenigen schneidenden Worten, unterbrochen von quälend langen Pausen zwischen den Sätzen. Einem durchdringenden Blick seiner stahlblauen Augen. Einem eisigen Lächeln.”
“Wer nicht spurt oder meine Kreise stört, hat es verspielt”, hat Piëch in seiner “Auto. Biographie” geschrieben. Das “Maximum” sei nur erreichbar, wenn man auch an die Grenze des Erreichbaren gehe. “Und an dieser Grenze ist nicht immer Harmonie zu Hause.” Aber seine Zahlen stimmen. Als Piëch 2002 an die Spitze des Aufsichtsrats wechselt, macht VW einen doppelt so hohen Umsatz wie 1993 – und dazu Rekordprofite. Ein Kleinaktionär schwärmt vom “Göttervater”, während wiederum der “Spiegel” vom Innenklima des von Piëch und Martin Winterkorn (72) geführten Konzerns schreibt: “Nordkorea minus Arbeitslager”.
Als in den Medien mal berichtet wird, er plane wegen seiner angeblich angeschlagenen Gesundheit bald seinen Rückzug, gibt er zu Protokoll: “Guillotinieren werde ich erst, wenn ich sicher bin, wer es war.” Seine Spezialität, die zudem bei rangniedrigeren Mitarbeitern gar nicht mal schlecht ankommt: das Entfernen der großen Bosse.
“Zu spät habe ich erkannt, den Falschen gewählt zu haben. Das habe ich mit Mühe im vergangenen November korrigiert”, erklärt Piëch am 19. April 2007 bei der VW-Hauptversammlung über den dato schon entlassenen VW-Vorstandschef Bernd Pischetsrieder (71).
“Zurzeit noch. Streichen Sie das ‘noch'”, sagt Piëch am 11. Mai 2009 auf die Frage, ob der damalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking (66) sein Vertrauen genießt. Wiedeking verliert sein Amt.
“Ich bin auf Distanz zu Winterkorn” – mit diesem kurzen Satz gegenüber “Spiegel online” demontiert Piëch am 10. April 2015 den VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und löst eine Führungskrise im Volkswagen-Konzern aus, der er dann selbst zum Opfer fällt.
Der Aufsichtsrat steht zu Winterkorn, erbost gibt Piëch alle Ämter im Gesamtkonzern auf und zieht sich grollend nach Salzburg zurück. 2017 verkauft er den größten Teil seiner Stammaktien der Porsche Automobil Holding SE, die über 42 Prozent am Gesamtkonzern VW hält, an die Verwandtschaft Piëch und Porsche, vor allem an seinen jüngeren Bruder Hans Michel Piëch. Kolportierter Preis: über eine Milliarde Euro.
Privat sei Piëch ein zugänglicher Mensch gewesen, heißt es. In seiner Einladung zum 75. Geburtstag soll in kleiner roter Schrift auf den Karten gestanden haben: “Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.” Er segelte gern, beschäftigte sich mit fernöstlicher Kultur und japanischer Ethik, und wenn er daheim bei Salzburg das Kaminholz hackte, flogen die Fetzen.
Sein Reichtum, schätzungsweise mehrere Milliarden Euro, wird höchst wahrscheinlich auf die letzte Ehefrau und jede Menge Kinder verteilt. Piëch selbst hat die Anzahl seiner Kinder auf zwölf beziffert, andere Quellen nennen 13, einige sogar 14. Fünf Kinder stammen aus seiner ersten Ehe mit Corinna von Planta, zwei aus der Beziehung zu Marlene Porsche, der Ex-Frau seines Cousins Gerhard Porsche, zwei weitere aus einer anderen Beziehung und drei aus der letzten Ehe mit Ursula Piëch (63).
Er lernte die Kindergärtnerin 1982 kennen, als sie sich bei seinem Privathaushalt als Gouvernante beworben hatte. Die Hochzeit war zwei Jahre später. Man sagt, dass diese Ehe sehr glücklich und voller Vertrauen gewesen sei.
Doch auch in Bezug auf die Kinder blitzte zuletzt etwas vom alten Piëch durch, dem einsamen, dämonischen Autokraten. Als im Frühjahr 2019 sein Sohn Anton auf dem Genfer Automobilsalon voller Stolz sein erstes selbst entworfenes Fahrzeug vorstellte – ein 612 PS-Sportwagen mit Elektroantrieb namens Piëch Mark Zero – sagte der Herr Papa auf Anfrage der “Bild am Sonntag”: “Ich war nie dabei, ich bin nicht dabei und werde nicht bei dem Projekt beteiligt sein.”
(ln/spot)