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Zinssatz auf Steuernachforderungen ist verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht verpflichtet Gesetzgeber zu Neuregelung

Der hohe Zinssatz von sechs Prozent jährlich bei Steuernachforderungen und -erstattungen ist für den Verzinsungszeitraum ab 2014 verfassungswidrig. Der Gesetzgeber müsse bis Ende Juli kommenden Jahres nachbessern, erklärte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch, und zwar teilweise rückwirkend: Für den Zeitraum bis Ende 2018 könne das bisherige Recht noch angewandt werden, danach gelte die Neuregelung. (Az. 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17)

Der Zinssatz sei nicht mehr zu rechtfertigen, wenn er sich als “evident realitätsfern” erweise – was wegen des aktuell bestehenden “strukturellen Niedrigzinsniveaus” der Fall sei, teilte das Gericht weiter mit. Grundsätzlich sei der Gesetzgeber dazu berechtigt, Zinsen auf Steuernachzahlungen zu erheben. Dem liege die Annahme zugrunde, dass Steuerpflichtige einen Vorteil hätten, wenn ihre Steuer erst spät festgesetzt würde.

Wer Geld länger behält, kann es in dieser Zeit anlegen und Einkünfte damit erzielen. Allerdings sind die Zinsen am Markt derzeit so niedrig, dass kaum Gewinne zu machen sind. Der Zinssatz auf Steuernachzahlungen von einem halben Prozent pro Monat oder sechs Prozent pro Jahr wurde bereits 1961 festgelegt. Er bilde den potenziellen Vorteil nun nicht mehr hinreichend ab, erklärte das Gericht, denn er habe sich schon so weit vom tatsächlichen Marktzinsniveau entfernt, dass er “in etwa das Doppelte des höchsten überhaupt noch erzielbaren Habenzinssatzes ausmachte.”

Der Bundesfinanzhof hatte schon 2018 Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes geäußert. Das Bundesfinanzministerium entschied im Mai 2019, dass die Finanzämter die Zinsen ab diesem Zeitpunkt nur vorläufig festsetzen sollten. Auf diese vorläufigen Bescheide könnte sich der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nun auswirken. Das Gericht hat nicht festgelegt, wie hoch der ab 2019 geltende Zinssatz sein muss. Doch hat es den Gesetzgeber dazu verpflichtet, eine “verfassungsgemäße Neuregelung” zu treffen.

Hohe Zinsen könnten also sinken, und zwar sowohl bei Nachzahlungen als auch bei der Erstattung von zu viel gezahlten Steuern. Bis 2018 nahm der Staat durch die Regelung mehr ein als er ausgab. In den Jahren 2019 und 2020 aber änderte sich das: Seitdem wurden von den Finanzämtern mehr Erstattungszinsen gezahlt, als sie Nachzahlungszinsen einnahmen, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Februar hervorging.

Konkret ging es in Karlsruhe am Mittwoch um die Verfassungsbeschwerden zweier Firmen, die nach Steuerprüfungen Gewerbesteuer samt Zinsen nachzahlen mussten. Ihre Verfassungsbeschwerden bezogen sich einmal auf die Jahre 2010 bis 2012 und einmal auf den Zeitraum bis 2014. Nur letztere wurde als teilweise begründet gewertet, nämlich für das Jahr 2014.

FDP-Generalsekretär Volker Wissing reagierte erfreut auf die Entscheidung. “Gut, dass das Bundesverfassungsgericht der Hochzinspolitik der Bundesregierung ein Ende bereitet hat”, schrieb er auf Twitter.

by Von Sarah Maria BRECH

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