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Zentralratspräsident warnt vor Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft

Zum 85. Jahrestag der sogenannten Reichspogromnacht hat der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, vor einem "in Deutschland bis in die Mitte der Gesellschaft" reichenden Antisemitismus gewarnt. "Es ist etwas aus den Fugen geraten in diesem Land", sagte Schuster am Donnerstag in der Berliner Synagoge Beth Zion. Dort fand die zentrale Gedenkveranstaltung zu dem Jahrestag statt.

Es sei noch die Gelegenheit, dies zu reparieren, sagte Schuster. Doch dafür müsse auch eingestanden werden, was in den letzten Jahren schiefgelaufen sei. Schuster sprach von einem "bis in die Mitte der Gesellschaft" vorgedrungenen israelbezogenen Antisemitismus - "in die Hörsäle, in die Theater, auch in die bürgerlichen Vorstadthäuser".

"Ich erkenne in den vergangenen Wochen zuweilen dieses Land nicht wieder", sagte Schuster. Es sei zugelassen worden, dass sagbar erscheine, öffentlich die Vernichtung Israels und die Auslöschung aller Juden zu propagieren. Weiter sei zugelassen worden, dass tausende Menschen mit arabischem Migrationshintergrund dies auf den Straßen fordern.

In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 zerstörten von den Nationalsozialisten organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, steckten Synagogen in Brand und misshandelten tausende Jüdinnen und Juden. Die damaligen Ereignisse werden als Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums gesehen.

"Wer verstehen will, was Jüdinnen und Juden in diesen Tagen fühlen, der muss sich der historischen Pogromerfahrungen im jüdischen Denken bewusst sein", betonte der Zentralratspräsident. Die Jagd auf Juden habe sich tief in das kollektive Bewusstsein eingebrannt.

Schuster sprach von "tiefen Traumata, Ängsten und Verunsicherungen". Das Malen von Davidsternen an Häuser von Juden, Attacken auf jüdische Geschäfte sowie ein öffentlich die Auslöschung aller Juden fordernder Mob sei "der Versuch, gezielt diese Ängste zu erzeugen".

Der Zentralratspräsident betonte aber zugleich den größten Unterschied zu 1938: Damals sei die Gewalt von den Nationalsozialisten geschürt worden, heute schütze der Staat die jüdische Gemeinschaft. Dies sei eine Botschaft, die auch bei den Jüdinnen und Juden in Deutschland ankomme. "Dafür möchte ich Ihnen an diesem Tag und an dieser Stelle danken", sagte Schuster.

Schutz sei gut und, gerade jetzt, wichtig. "Aber wir wollen keine Schutzschilder", betonte der Präsident des Zentralrats der Juden. "Wir wollen frei leben und dabei nicht auf Schutz angewiesen sein." Diesen Wunsch werde er sich nicht nehmen lassen, ergänzte Schuster.

Bei der Veranstaltung in der Synagoge Beth Zion sollte anschließend Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprechen, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahm ebenfalls teil.

awe/mt