Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich besorgt über die "Explosion" der Corona-Fallzahlen in Europa geäußert. Auch die Sterberate bei den Infizierten steige, sagte der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, am Donnerstag in Kopenhagen der Nachrichtenagentur AFP. Europa ist mittlerweile die Weltregion mit den meisten nachgewiesenen Corona-Infektionen. England folgte am Donnerstag dem Beispiel vieler europäischer Länder und setzte einen Lockdown in Kraft.
"Wir erleben eine Explosion" der Fallzahlen in Europa, sagte Kluge. Der WHO-Regionaldirektor rief die europäischen Staaten zu "gezielten und angemessenen" Gegenmaßnahmen auf, um die Pandemie einzudämmen. Die Schulen sollten allerdings "bis zum Schluss" offen bleiben und nur im äußersten Fall den Präsenzunterricht einstellen.
Europa ist mittlerweile die Weltregion mit den meisten nachgewiesenen Corona-Infektionen. Wie eine Zählung der Nachrichtenagentur AFP auf Grundlage von Behördenangaben am Donnerstag ergab, wurden in Europa mittlerweile 11,6 Millionen Ansteckungen und 293.000 Todesfälle registriert.
Bereits im März und April war Europa das Epizentrum der Pandemie, nach einer Entspannung der Lage im Sommer entwickelte es sich in den vergangenen Wochen erneut dazu. Seit Oktober ist Europa die Weltregion mit den meisten täglichen Neuansteckungen.
Und das Infektionsgeschehen beschleunigt sich weiter: Die Zahl der vergangene Woche festgestellten Neuansteckungen war 20 Prozent höher als in der Vorwoche. Die Zahl der wöchentlichen Corona-Toten in Europa stieg noch deutlich schneller: Nach 14.403 Todesopfern in der vorvergangenen Woche waren es vergangene Woche 21.500 Todesfälle und damit fast 50 Prozent mehr.
Die meisten Neuinfektionen in Europa meldeten vergangene Woche Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien und Polen. Auch in Deutschland erreicht die Zahl der Neuinfektionen immer neue Höchststände. Am Donnerstag meldete das Robert-Koch-Institut fast 20.000 Ansteckungen binnen 24 Stunden.
Am Montag war in Deutschland ein einmonatiger Teil-Lockdown in Kraft getreten, auch in vielen anderen europäischen Ländern wurden Lockdowns sowie nächtliche Ausgangssperren beschlossen.
Am Donnerstag zog England nach: Nach längerem Zögern der Regierung trat auch dort ein Lockdown in Kraft. Bis mindestens Anfang Dezember bleiben nicht dringend notwendige Geschäfte geschlossen. Die Engländer sollen von zu Hause aus arbeiten und das Haus nur für konkrete Anliegen wie Arztbesuche, Einkäufe und Sport verlassen. Cafés, Pubs und Restaurants dürfen Speisen und Getränke nur noch zum Mitnehmen anbieten.
In Portugal soll am Montag der Gesundheitsnotstand ausgerufen werden. Die auf zwei Monate begrenzte Maßnahme ermögliche es der Regierung, die Beschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus zu verschärfen, wie es in einem am Donnerstag veröffentlichten Dekret von Präsident Marcelo Rebelo de Sousa hieß. Das Parlament soll der Maßnahme am Freitag zustimmen. In Portugal war bereits während der ersten Corona-Welle im Frühjahr ein sechswöchiger Gesundheitsnotstand ausgerufen worden.
Auch in der französischen Hauptstadt Paris wurden im Kampf gegen die zweite Corona-Welle weitere Beschränkungen erlassen. Zur Vermeidung großer "Menschenansammlungen" dürfen eine Reihe von Kiosken oder Restaurants ab 22.00 Uhr keinen Alkohol oder keine Gerichte zum Mitnehmen mehr verkaufen, wie Bürgermeisterin Anne Hidalgo ankündigte. In Frankreich war am vergangenen Freitag ein neuer landesweiter Corona-Lockdown in Kraft getreten. Seitdem müssen die Bürger überwiegend zu Hause bleiben.
Zypern folgte derweil dem Beispiel anderer EU-Länder wie Griechenland, Italien, Österreich oder Ungarn und beschloss am Mittwoch eine nächtliche Ausgangssperre. Seit Donnerstag dürfen die Bewohner des Mittelmeerlandes zwischen 23.00 und 05.00 Uhr nicht aus dem Haus. Außerdem müssen alle Restaurants, Bars und Cafés um 22.30 Uhr schließen. Die Maßnahmen gelten zunächst bis Ende des Monats.
Angespannt ist die Lage auch in Tschechien. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kündigte an, dass die Bundeswehr zur Nothilfe zwei Intensivmediziner in das Nachbarland entsenden werde. "In diesen Zeiten muss Europa zusammenstehen", erklärte sie nach einem Telefonat mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babis.
by Von Pauline FROISSART