Nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat der Westen noch keine gemeinsame Haltung zu möglichen Sanktionen gegen Russland. US-Präsident Donald Trump sagte am Freitag (Ortszeit), ihm lägen noch keine Beweise für einen Giftanschlag vor. Zuvor hatte Deutschland seine Nato-Partner über den Fall unterrichtet und mit ihnen über mögliche Konsequenzen beraten. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen rief Deutschland und Frankreich zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen auf.
"Wir haben noch keine Beweise bekommen, aber ich werde mir das anschauen", sagte Trump am Freitag bei einer Pressekonferenz in Washington. Zuvor hatte Deutschland seine Nato-Verbündeten, darunter die USA, über Nawalnys Vergiftung informiert.
Trump gab bei der Pressekonferenz an, er verfüge über keine genauen Informationen über den Fall. "Ich denke, es ist tragisch, es ist schrecklich, es hätte nicht passieren sollen", sagte der US-Präsident. Nach Deutschlands Angaben scheine es der Fall zu sein, dass Nawalny vergiftet worden sei. "Ich wäre sehr wütend, wenn das der Fall ist", fügte Trump hinzu.
Zu möglichen Konsequenzen sagte Trump nichts, betonte aber, er sei "bei weitem härter zu Russland als irgendjemand sonst". Zugleich hob der Präsident hervor, die laufenden Verhandlungen mit Moskau über die Kontrolle von Atomwaffen seien wichtiger als alle anderen Themen.
Die Bundesregierung hatte am Mittwoch erklärt, Nawalny sei "zweifelsfrei" mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet worden. Das Gift war in den 1970er Jahren von sowjetischen Wissenschaftlern entwickelt worden.
Nawalny war am 22. August mit Vergiftungserscheinungen aus Russland nach Berlin geflogen worden, wo er seither in der Klinik Charité behandelt wird. Zuvor hatten seine Ärzte in einem sibirischen Krankenhaus nach eigenen Angaben sowie nach Angaben des Kremls kein Gift im Körper des bekannten Kritikers des russischen Präsidenten Wladimir Putin gefunden.
In den vergangenen Tagen wurden auch aus dem Umfeld des Kremls Theorien lanciert, wonach Nawalny in Berlin von Deutschen vergiftet worden sein oder selbst Gift zu sich genommen haben könnte. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, den Aussagen des Westens über einen Giftanschlag auf Nawalny müsse mit einer "guten Dosis Skepsis" begegnet werden. Zuerst müsse Berlin ohnehin dem Rechtshilfeersuchen Russlands nachkommen.
Auf EU-Ebene wird derzeit über mögliche Sanktionen gegen Russland wegen des Giftanschlags diskutiert. Bei einer Sondersitzung der Nato forderte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag eine "unparteiische" Untersuchung des Falles. Die 30 Nato-Mitglieder hätten den "entsetzlichen Mordanschlag" auf den Kreml-Kritiker "auf das Schärfste verurteilt", teilte Stoltenberg mit. Der Einsatz von Nervenkampfstoffen sei "eine eklatante Verletzung des internationalen Rechts" und erfordere "eine internationale Antwort".
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian forderten Moskau gemeinsam auf, "unverzüglich den Ablauf des Vorfalls und die Verantwortlichkeiten für diese versuchte Ermordung eines Mitglieds der russischen Opposition vollständig" aufzuklären. Der Angriff auf Nawalny sei eine "sehr schwere Verletzung der grundlegenden Prinzipien der Demokratie und des politischen Pluralismus".
Röttgen rief Frankreich und Deutschland, ihre "Alleingänge" in den Beziehungen zu Russland zu unterlassen. So dürfe Paris nicht länger auf eine bilaterale strategische Partnerschaft mit Russland setzen, sagte der Kandidat für den CDU-Vorsitz der "Rheinischen Post" (Samstagsausgabe).
Der "Dreh- und Angelpunkt für eine gemeinsame europäische Strategie" sei aber ein Verzicht auf Nord Stream 2, betonte Röttgen Die Zustimmung Deutschlands zu diesem russischen Projekt sei schließlich von Anfang an gegen die große Mehrheit der europäischen Partner erfolgt. Röttgens parteininterner Konkurrent Friedrich Merz fordert einen zweijährigen Baustopp bei Nord Stream 2.
by Odd ANDERSEN