Während der Proteste in Belarus nach dem umstrittenen Wahlsieg von Präsident Alexander Lukaschenko hat es einen zweiten Toten gegeben. Ein 25-Jähriger starb nach seiner Festnahme in der Stadt Gomel im Süden des Landes, wie die Behörden am Mittwoch mitteilten. Die Todesursache war nach offiziellen Angaben unklar. Es war der zweite Tote seit Beginn der Proteste nach der Wahl am Sonntag.
Die Demonstrationen gegen den von Betrugsvorwürfen überschatteten Urnengang gingen am vierten Tag in Folge weiter. Aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen der Polizei bildeten hunderte in Weiß gekleidete Frauen in der Hauptstadt Minsk eine Menschenkette - Weiß ist die Symbolfarbe der Opposition. Später feuerte die Polizei in Minsk wie schon an den Vorabenden erneut Gummigeschosse und Blendgranaten, um Protestversammlungen aufzulösen.
Die Polizei hatte zentrale Straßen der Hauptstadt abgesperrt. Rings um das Stadtzentrum waren Sicherheitskräfte postiert. Auch die U-Bahn-Stationen waren geschlossen, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Polizisten patrouillierten auch durch Wohngebiete, wo sie laut Lokalmedien auf Autos feuerten und Menschen in Hauseingängen aufgriffen.
Seit Beginn der Proteste wurden bereits mehrere tausend Menschen festgenommen - allein zwischen Sonntag und Dienstag waren es nach Angaben des Innenministeriums mehr als 6000. In der südlichen Stadt Brest schoss die Polizei am Dienstag sogar mit scharfer Munition auf Demonstranten. Mindestens ein Mensch wurde dabei laut Innenministerium verletzt. Die Polizei rechtfertigte den Einsatz scharfer Munition damit, dass die Demonstranten mit Metallstangen bewaffnet gewesen seien und Warnschüsse ignoriert hätten.
Zu dem Todesfall in Gomel erklärte ein Untersuchungskomitee, der junge Mann sei am Sonntag bei einer "nicht genehmigten" Demonstration festgenommen und zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt worden. In der Haft sei es ihm dann "plötzlich schlechter" gegangen.
Nach Angaben des Senders Radio Free Europe/Radio Liberty sagte hingegen die Mutter des Verstorbenen, ihr Sohn habe Herzprobleme gehabt und sei stundenlang in einem Polizeiwagen festgehalten worden. Ihr Sohn habe auch nicht an den Protesten teilgenommen, sondern sei auf dem Weg zu seiner Freundin gewesen, als er von der Polizei aufgegriffen worden sei.
Am Montag war bereits ein Demonstrant in der Hauptstadt Minsk zu Tode gekommen - laut Regierungsangaben, weil ein Sprengsatz in seinen Händen explodierte. Dutzende Verletzte wurden während der Proteste ins Krankenhaus eingewiesen.
Die belarussische Literatur-Nobelpreistägerin Swetlana Alexijewitsch verurteilte die Polizeigewalt gegen Demonstranten. Die Regierung habe "den Krieg gegen ihr eigenes Volk" erklärt, sagte sie Radio Liberty/Radio Free Europe in ihrem ersten öffentlichen Kommentar zu den Protesten. Die 72-Jährige nannte das Vorgehen der Sicherheitskräfte "unmenschlich" und "satanisch".
Den seit 26 Jahren mit harter Hand regierenden Lukaschenko forderte die Schriftstellerin zum Rücktritt auf. "Geh, bevor es zu spät ist, bevor Du Menschen in einen fürchterlichen Abgrund geworfen hast, den Abgrund des Bürgerkrieges!" sagte Alexijewitsch. Sie ist eine langjährige Kritikerin des Staatschefs.
Auch international wird das Vorgehen der belarussischen Behörden scharf kritisiert. Die Bundesregierung prangerte eine "Repressionswelle" an. Die Ausreise der Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja zeige, welches "Klima der Einschüchterung, der Angst, auch der Gewalt" in Belarus herrsche, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Tichanowskaja war nach der Wahl nach Litauen geflüchtet.
Laut dem amtlichen Wahlergebnis hatte Lukaschenko mehr als 80 Prozent der Stimmen geholt. Tichanowskaja soll demnach nur auf rund zehn Prozent gekommen sein. An dem offiziellen Wahlergebnis gibt es auch im Ausland erhebliche Zweifel. Die EU nannte die Wahl "weder frei noch fair". Bei einer Videokonferenz am Freitag wollen die EU-Außenminister über die mögliche Wiedereinführung von Strafmaßnahmen gegen Belarus beraten.
by Von Tatiana KALINOVSKAYA