Der Streit der EU mit dem Pharma-Unternehmen Astrazeneca wegen Lieferengpässen bei seinem Corona-Impfstoff droht die Beziehungen Brüssels mit Großbritannien zu belasten. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides forderte am Mittwoch eine Bereitstellung des Astrazeneca-Vakzins für die EU aus zwei britischen Produktionsstätten, die bislang vor allem Großbritannien beliefern. Die Regierung in London bestand darauf, dass sich an der Menge der für Großbritannien bestimmten Impfstoffdosen nichts ändern könne.
Astrazeneca hatte vergangene Woche bekanntgegeben, der EU wegen Produktionsproblemen in einem Werk in Belgien in nächster Zeit deutlich weniger Impfstoff liefern zu können als vorgesehen. Zunächst war von einer Verringerung um 60 Prozent im ersten Quartal die Rede gewesen. Ein EU-Vertreter sprach nun von 75 Prozent. Brüssel stört besonders, dass Großbritannien und andere Nicht-EU-Länder offenbar weiterhin ungekürzte Mengen erhalten.
Astrazeneca-Chef Pascal Soriot begründete dies in einem Interview mit mehreren europäischen Zeitungen damit, dass die EU ihren Liefervertrag später abgeschlossen habe. Auch habe sich sein Unternehmen gegenüber der EU überhaupt nicht zu festen Liefermengen verpflichtet, sondern lediglich dazu, "dass wir unser Bestes geben werden".
Diese Ansicht "ist weder richtig noch akzeptabel", sagte Gesundheitskommissarin Kyriakides. Auch sei in dem Vertrag nicht festgehalten, "dass irgendein Land oder das Vereinigte Königreich Vorrang hat, weil es früher unterzeichnet hat". Neben zwei Produktionsstätten in der EU seien in dem Abkommen explizit zwei in Großbritannien aufgeführt, "und deshalb müssen diese jetzt liefern".
Sollte Astrazeneca damit beginnen, Impfstofflieferungen aus den beiden britischen Werken umzuleiten, könnte dies wiederum das Versprechen des britischen Premierministers Boris Johnson gefährden, bis Mitte Februar 15 Millionen Briten impfen zu lassen. "Astrazeneca hat sich zu zwei Millionen Dosen pro Woche hier im Vereinigten Königreich verpflichtet", sagte Johnsons Sprecher. "Und wir erwarten, dass Verträge eingehalten werden."
Astrazeneca habe Brüssel bislang nicht ausreichend erklären können, wie es zu den Lieferengpässen kam, sagte eine EU-Vertreterin. Die Darstellung des Sachverhalts sei "inkonsistent". Es gebe auch Vermutungen, dass für die EU vorgesehene Impfstoffdosen exportiert worden seien.
"Kein Unternehmen sollte sich der Illusion hingeben, dass wir nicht die Mittel haben, um zu verstehen, was passiert", sagte Kyriakides dazu. Die EU werde herausfinden, wohin diese Dosen geschickt wurden.
Ein am Mittwochabend angesetztes Treffen der EU mit Unternehmensvertreten zur Lösung des Streits sorgte zunächst für Verwirrung. Nach Angaben der EU-Kommission hatte Astrazeneca das Treffen kurzfristig abgesagt. Ein Unternehmenssprecher widersprach dem. EU-Vertreter bestätigten schließlich, dass das Treffen am Abend wie geplant stattfinden werde.
Der Astrazeneca-Impfstoff ist in der EU noch nicht zugelassen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA könnte am Freitag dafür grünes Licht geben.
Weil es aber nur unzureichende Testdaten für ältere Menschen gibt, könnte die Zulassung womöglich auf jüngere Altersgruppen beschränkt bleiben. Einen Zeitungsbericht über eine geringe Wirksamkeit des Astrazeneca-Vakzins von nur acht Prozent bei über 65-Jährigen wiesen das Unternehmen sowie das Bundesgesundheitsministerium entschieden zurück.
by Von Peter EßER