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Wärmewende im Südwesten wird zum Fall für den Bundesgerichtshof

Fernwärme ist seit Kurzem wieder ein heißes Thema - nicht nur in der Politik, sondern seit Dienstag auch bei den Richterinnen und Richtern am Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH verhandelte in Karlsruhe über die 218 Kilometer Fernwärmenetz der Stadt Stuttgart. Baden-Württembergs Hauptstadt streitet sich seit Jahren mit dem großen Energieversorger EnBW darüber, wem das Netz gehören und wer es betreiben soll. (Az. KZR 101/20)

1994 hatte die Stadt einen Vertrag mit dem Kommunalunternehmen TWS über die Verlegung von Leitungen und den Betrieb des Fernwärmenetzes geschlossen. TWS wurde inzwischen in den EnBW-Konzern eingegliedert, dieser baute das Fernwärmenetz auf seine heutige Länge aus. Etwa 18 Prozent des Stadtgebiets werden darüber mit Fernwärme versorgt. 

Kurz bevor der Vertrag 2014 auslief, wollte die Stadt die Nutzungsrechte neu ausschreiben. Sie begann mit dem Verfahren, in dem sich acht Interessenten meldeten. Nach dem Beginn eines Bürgerbegehrens, das die kommunale Übernahme des Netzbetriebs forderte, fasste der Gemeinderat dann aber einen entsprechenden Beschluss: Die Stadt solle Eigentum und Betrieb übernehmen.

2016 wurde das Vergabeverfahren ausgesetzt, es ruht immer noch. EnBW setzt die Versorgung derzeit fort. Die Stadt zog vor Gericht, um durchzusetzen, dass sie Eigentümerin des Netzes wird. "Die Stadt muss ein Mitspracherecht haben", sagte Stadtdirektorin Andrea Klett-Eininger in Karlsruhe. Es gehe um die Wärmewende. Stuttgart will bis 2035 klimaneutral werden und dazu 38 Prozent des Stadtgebiets mit Fernwärme versorgen, die aus erneuerbaren Energien kommen soll.

Derzeit werde Fernwärme in Stuttgart vor allem aus Kohle und Öl erzeugt, sagte der Anwalt der Stadt. Würde das Eigentum auf die Stadt übergehen - so ihre Hoffnung - könne ein Wettbewerb verschiedener Anbieter entstehen, der die notwendige Transformation effizienter mache. 

EnBW dagegen fordert ein neues Vertragsangebot über 20 Jahre. Eine Trennung von Erzeugung, Transport und Kundenbetreuung bei Fernwärme bringe keine Vorteile, argumentierte der Anwalt des Konzerns vor dem BGH. "Wo entfalten sich hier Marktkräfte, die am Ende zu einer für Kunden attraktiveren Wärmeversorgung führen?" Das sehe er nicht. Stattdessen werde höchstens ein bisheriger Monopolist gegen einen neuen Monopolisten eingetauscht.

Die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Stuttgart, hatte der Stadt beim Urteil 2020 das Eigentum nicht zugesprochen und auch die Forderung von EnBW nach einem neuen Vertragsangebot abgewiesen. Die Stadt dürfe aber den Abbau der Anlagen auf ihren Grundstücken verlangen.

Das Stuttgarter Urteil wecke Assoziationen mit dem biblischen König Salomon, sagte ein in Karlsruhe befragter Vertreter des Bundeskartellamts. Eine mögliche Vernichtung funktionstüchtiger Leitungen liege aber fern. Er verwies darauf, dass die Kommunen eine flächendeckende Wärmeplanung erarbeiten sollten. Fernwärme solle ausgebaut werden und sei ein "Zukunftsthema". Der Stuttgarter Fall sei allerdings besonders verwickelt.

Wie der Vorsitzende Richter Wolfgang Kirchhoff sagte, befasst sich der BGH zum ersten Mal mit einem solchen Fall. Dem Kartellsenat stellen sich nun zahlreiche Fragen - etwa ob Fernwärme rechtlich anders zu behandeln ist als die Strom- und Gasversorgung. 

Falls der Stadt das Eigentum am Fernwärmenetz zusteht, muss der BGH zusätzlich entscheiden, ob sie den Betrieb ausschreiben muss oder einen Eigenbetrieb wie etwa die Stadtwerke damit beauftragen könnte. Noch am Dienstag sollte der Termin für eine Urteilsverkündung oder eventuell bereits eine Entscheidung veröffentlicht werden.

smb/hcy