Das historische Post-Brexit-Abkommen ist geschlossen - nun laufen die Vorbereitungen für seine Ratifizierung auf Hochtouren: Sowohl in London als auch in Brüssel und den verschiedenen EU-Hauptstädten prüfen Experten derzeit den Vertrag, dessen knapp 1300 Seiten am Samstag vollständig veröffentlicht wurden. Das Abkommen soll am 1. Januar vorläufig in Kraft treten.
Im Vorwort der von der britischen Regierung veröffentlichten Version schrieb Premierminister Boris Johnson, der Vertrag bewahre "den freien Handel für Millionen Menschen im Vereinigten Königreich und in Europa". Zwar habe auch London Kompromisse gemacht, "aber wir sind immer beim Ziel geblieben, die nationale Souveränität wiederherzustellen".
Die Einigung auf das Handelsabkommen war am Donnerstag nur wenige Tage vor dem Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt zum Jahreswechsel erzielt worden. Es sieht einen Handel ohne Zölle vor. Gleichzeitig regelt es Fragen wie die künftige Polizei- und Justizzusammenarbeit oder die soziale Absicherung von Bürgern beider Seiten.
Weil die Zeit zur Ratifizierung des Abkommens durch die EU-Staaten nicht mehr ausreicht, soll das Abkommen am 1. Januar zunächst vorläufig in Kraft treten. Das britische Parlament soll in einer Sondersitzung am 30. Dezember über den Vertrag abstimmen. Eine Billigung durch die Abgeordneten gilt als sicher. Die oppositionelle Labour-Partei hat bereits angekündigt, für das Abkommen zu stimmen.
Laut einem Vorschlag der EU-Kommission soll das Abkommen bis 28. Februar provisorisch angewandt werden. Bevor es formal in Kraft treten kann, muss es vom EU-Parlament sowie den Regierungen aller 27 Mitgliedstaaten gebilligt werden. Das von EU-Chefunterhändler Michel Barnier und der EU-Kommission ausgehandelte Abkommen wird nun überall eingehend geprüft.
Ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sprach von einer "gewaltigen Aufgabe". Denn schon das eigentliche Handelsabkommen hat einen Umfang von 1246 Seiten. Hinzu kommen noch weitere Vereinbarungen etwa zur Zusammenarbeit mit der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom).
Das nächste Treffen der EU-Botschafter ist nach AFP-Informationen am Montag geplant, um über Reaktionen, Fragen und mögliche Einwände der Mitgliedstaaten zu beraten. Geht alles gut, leiten die Botschafter dabei ein schriftliches Verfahren ein, das den Weg für die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung des Abkommens frei machen würde.
Die vorläufige Anwendung sei "ein außergewöhnlicher Schritt", erklärte der Sprecher des deutschen EU-Vorsitzes. Ziel sei es, "eine erhebliche Störung der Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien mit schwerwiegenden Folgen für Bürger und Unternehmen" nach Ende der Brexit-Übergangszeit am 1. Januar zu verhindern. Gleichzeitig schaffe die vorläufige Anwendung die Zeit für "eine ordnungsgemäße und vollständige demokratische Prüfung des Abkommensentwurfs durch das Europäische Parlament".
Trotz der verbreiteten Erleichterung über den in letzter Minute abgewendeten harten Brexit gab es in Brüssel auch kritische Stimmen. Ein EU-Diplomat beschrieb die Stimmung als wenig freudvoll, "denn eine Scheidung ist nicht wirklich eine gute Nachricht".
Schwerwiegende Folgen hat das Abkommen unter anderem für junge Menschen. So steigt Großbritannien im Zuge des Deals nach fast 34 Jahren aus dem Erasmus-Programm für Studierende aus. Allerdings kündigte die irische Regierung am Wochenende auf Twitter an, sie wolle das Erasmus-Programm zumindest für Nordirland weiterführen und finanzieren.
Auch außerhalb der EU und Großbritanniens waren die Verhandlungen aufmerksam verfolgt worden. In ihrer ersten Reaktion auf die Einigung begrüßte die Schweiz am Sonntag das Zustandekommen des historischen Abkommens. "Es ist für die ganze Welt eine gute Nachricht, dass man ein Abkommen gefunden hat. Auch für die Schweiz",sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin, der zu Beginn des neuen Jahres die jährlich wechselnde Bundespräsidentschaft des Landes übernehmen wird.
by Von Germain MOYON