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Verfassungsgericht: Forschungsfreiheit umfasst Vertraulichkeit erhobener Daten

Im Streit um eine Durchsuchung von Lehrstuhlräumen an der Universität Erlangen-Nürnberg hat das Bundesverfassungsgericht die Forschungsfreiheit gestärkt. Mit einem am Freitag veröffentlichten Beschluss wiesen die Karlsruher Richter die Beschwerde des betroffenen Psychologieprofessors zwar "mangels Fristwahrung" ab. Gleichzeitig betonten sie aber, dass "die Forschungsfreiheit auch die Erhebung und Vertraulichkeit von Daten im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsprojekte" umfasse. (Az. 1 BvR 2219/20)

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Lehrstuhls für Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie. Er arbeitete an einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt zur "islamistischen Radikalisierung im Justizvollzug". Hierfür wurden Häftlinge interviewt, denen Verschwiegenheit zugesichert wurde. Zu den Interviews gab es Tonaufzeichnungen und noch nicht anonymisierte schriftliche Protokolle.

Unter den Interviewten war ein Häftling, der wegen Drogendelikten im Gefängnis saß. Gegen ihn ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft München nun auch wegen einer mutmaßlichen Mitgliedschaft in der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat und wegen eines Waffendelikts. Die Staatsanwaltschaft bat den Professor um seine Tonaufnahmen und Transkripte.

Wegen seiner Vertraulichkeitszusage gab er aber nichts heraus. Daraufhin wurden die Räume seines Lehrstuhls durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt. Seine Beschwerde vor dem Oberlandesgericht (OLG) München hatte keinen Erfolg. Ein Zeugnisverweigerungsrecht stehe dem Wissenschaftler nicht zu. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Professor einen unzulässigen Eingriff in sein Grundrecht auf Wissenschafts- und Forschungsfreiheit.

Aus formalen Gründen wies das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde nun ab. Die hierfür geltende Monatsfrist sei nicht gewahrt worden. "In der Sache bestehen jedoch erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen", heißt es weiter in dem Karlsruher Beschluss. Das OLG habe "Gewicht und Reichweite der Forschungsfreiheit nicht angemessen berücksichtigt".

Zur Begründung betonte das Bundesverfassungsgericht, dass gerade die empirische Forschung regelmäßig auf die Erhebung von Daten angewiesen sei. Dabei könnten "aussagefähige sensible Daten von den Betroffenen oftmals nur unter der Bedingung von Vertraulichkeit erhoben werden". Im Streitfall sei dies "offenkundig".

Die Vertraulichkeit dieser Daten sei von der Forschungsfreiheit umfasst, entschied das Bundesverfassungsgericht. Denn "die staatlich erzwungene Preisgabe von Forschungsdaten hebt die Vertraulichkeit auf und erschwert oder verunmöglicht insbesondere Forschungen, die, wie das hier betroffene Forschungsprojekt, auf vertrauliche Datenerhebungen angewiesen sind".

Bei seiner Abwägung mit der Strafverfolgung habe das OLG München dies unzureichend berücksichtigt und sich zu sehr auf die Auswirkungen für das konkrete Forschungsprojekt beschränkt, rügten die Karlsruher Richter. Das gelte allemal hier, weil es dem Beschwerdeführer um Erkenntnisse für eine bessere Kriminalprävention gegangen sei.

xmw/cfm