Gut ein Jahr nach der Tat hat in Frankfurt am Main am Mittwoch das Verfahren um den tödlichen Stoß eines kleinen Jungen vor einen ICE begonnen. Der Beschuldigte gilt wegen einer mutmaßlichen schizophrenen Erkrankung als schuldunfähig und soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft in einer Psychiatrie untergebracht werden. "Es tut mir unendlich Leid, insbesondere für die Familie des durch meine Tat zu Tode gekommenen achtjährigen Jungen", ließ er von seinen Verteidigern erklären.
Der 41-jährige Beschuldigte aus Eritrea, der vor den Taten in der Schweiz lebte, soll das Kind und dessen Mutter Ende Juli 2019 gegen zehn Uhr morgens im Frankfurter Hauptbahnhof vor den einfahrenden Zug gestoßen haben. Der Achtjährige wurde laut Staatsanwaltschaft "der Absicht des Beschuldigten entsprechend" von dem ICE erfasst und starb, die Mutter rollte sich zur Seite und überlebte. Nach der Attacke soll der Beschuldigte noch eine 78-Jährige zu Boden gestoßen und schwer verletzt haben.
Die Taten sorgten bundesweit für Entsetzen - doch der 41-jährige Mann ist in Frankfurt nicht in einem Strafprozess angeklagt. In dem sogenannten Sicherungsverfahren ohne Anklage wirft die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten Totschlag, versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen vor und beantragte seine dauerhafte Unterbringung in einer Psychiatrie.
Was er laut Anklageschrift getan haben soll, "muss sich nach allen mir zugegangenen Informationen so zugetragen haben", ließ der Mann erklären. "Ich war sehr schwer krank." Ein Sachverständiger sagte vor Gericht, der Beschuldigte könne sich nach eigener Aussage nicht an die Tat erinnern. Ihm sei demnach "furchtbar schlecht" geworden, als die Polizei ihn damit konfrontiert habe.
Das Gericht sieht nach fachärztlichen Untersuchungen "eine ganze Reihe" von Anhaltspunkten für eine psychische Erkrankung des Beschuldigten, der demnach bei der Tat steuerungs- und damit schuldunfähig gewesen sein könnte. Die Staatsanwaltschaft sprach am Mittwoch von einer schizophrenen Psychose und Verfolgungswahn. Wegen der "krankhaften seelischen Störung" des Beschuldigten bestehe eine "hohe bis sehr hohe Wahrscheinlichkeit", dass er weitere Gewaltdelikte verübe.
Der Vorsitzende Richter der 22. Strafkammer am Landgericht Frankfurt erklärte, in dem Verfahren könne indes auch von Mord sowie zweifachem versuchten Mord auszugehen sein, sofern die Beweisaufnahme ergebe, dass der Mann die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer bewusst ausgenutzt und somit aus Heimtücke gehandelt habe. Das Verfahren wurde unter besonders hohen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Beteiligten eröffnet.
by Von Daniel WOLF