Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat die Europäische Zentralbank (EZB) aus Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung vor zu starken Erhöhungen der Leitzinsen gewarnt. "Ich fände es problematisch, wenn es zu immer weiteren Leitzinserhöhungen durch die EZB käme. Denn das würde der Konjunktur nicht guttun", sagte Verdi-Bundeschef Frank Werneke den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Donnerstag. Am Nachmittag berät die EZB über weitere Maßnahmen gegen die hohe Inflation, Beobachter rechnen fest mit einer neuen Leitzinserhöhung.
Die Experten erwarten dabei eine Anhebung um 0,25 Prozentpunkte. Vertreter der EZB haben klargemacht, dass sie Verschärfung der Geldpolitik erst einstellen werden, wenn die Inflation in der Eurozone sich dem angestrebten Niveau von zwei Prozent annähert. Die Teuerung in der Eurozone hatte sich im Mai zuletzt zwar weiter abgeschwächt, lag im Jahresvergleich aber weiterhin bei 6,1 Prozent.
"Es ist absehbar, dass der EZB-Rat die Leitzinsen am Donnerstag abermals um 0,25 Prozentpunkte erhöhen wird", sagte Werneke in der Funke-Mediengruppe. "Dieser einzelne Erhöhungsschritt ist sicherlich keiner, der das Spielfeld komplett neu ordnet. Aber immer weitere Zinserhöhungen sind natürlich problematisch." Negative Auswirkungen zeigten sich bereits etwa in einer einbrechenden Baukonjunktur.
Auch Kapitalmarktanalysten halten eine Erhöhung um 0,25 Prozentpunkte am Donnerstag für praktisch ausgemacht. Um so aufmerksamer werden Investoren bei der obligatorischen Pressekonferenz nach der EZB-Tagung am Nachmittag auf Hinweise achten, wie die weitere Strategie der europäischen Zentralbank aussehen könnte und ob sich eine Pause bei weiteren Zinsschritten andeutet.
So hatte etwa die US-Notenbank Fed am Mittwoch nach zehn Leitzinserhöhungen in Folge erstmals eine Unterbrechung eingelegt. Sie ließ den Leitzins erstmals seit Beginn März 2022 unverändert und hielt an der derzeitigen Zinsspanne von zwischen 5,0 und 5,25 Prozent fest.
Für die EZB wäre eine weitere Leitzinserhöhung am Donnerstag die achte in Folge. Sie hatte die Zinswende im Euroraum im Juli vergangenen Jahres eingeleitet. Aktuell liegt der zentrale Satz, zu dem die Geschäftsbanken sich Geld bei der EZB leihen können, bei 3,75 Prozent.
Höhere Zinsen gelten als Mittel gegen die Teuerung, da sie die Nachfrage und damit den Preisauftrieb dämpfen. Zentralbanken müssen sie aber sorgfältig dosieren, um das Wirtschaftswachstum nicht zu stark abzubremsen. Höhere Zinsen haben in der Eurozone laut neuesten Daten bereits zu einem deutlichen Rückgang der Kreditnachfrage von Haushalten und Firmen geführt.
Laut in den vergangenen Woche veröffentlichen Daten rutschte die Wirtschaft in der Eurozone zu Jahresbeginn bereits in die Rezession und erwies sich damit als weniger widerstandsfähig als erhofft. Die Konjunktur in den 20 Ländern der Währungsunion schrumpfte im ersten Quartal um 0,1 Prozent verglichen mit dem Vorquartal, wie die Statistikbehörde Eurostat mitteilte. Da dies das zweite negative Quartal in Folge war, gilt dies nun als eine technische Rezession.
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