Millionen Pendler müssen sich kommende Wochen auf massive Behinderungen bei Bussen und Bahnen einstellen: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kündigte im Tarifkonflikt des öffentlichen Nahverkehrs bundesweite Warnstreiks für Dienstag an. Damit will die Gewerkschaft die kommunalen Arbeitgeber zur Verhandlungen über einen deutschlandweiten Rahmentarifvertrag zwingen. Die Arbeitgeber verurteilten die geplanten Warnstreiks als “Anschlag auf die Allgemeinheit”.
Verdi fordert für die bundesweit 87.000 Beschäftigten Entlastungen, etwa 30 Urlaubstage oder Sonderzahlungen, sowie Regelungen zur Nachwuchsförderung. “Nach 20 Jahren Sparkurs auf dem Rücken der Beschäftigten sind die Grenzen der Belastbarkeit erreicht”, erklärte am Freitag Verdi-Vize Christine Behle.
Trotz steigender Fahrgastzahlen seien in den vergangenen 20 Jahren 15.000 Stellen im öffentlichen Nahverkehr abgebaut worden, erklärte Behle. Folgen seien “hohe Krankheitsquoten in den Betrieben und fehlender Nachwuchs”. In den Ballungsräumen seien Busse und Bahnen überfüllt, in ländlichen Regionen fehlten oftmals Busfahrer und die Finanzierung, um mehr als eine Grundversorgung zu gewährleisten.
“Mit unseren Forderungen haben wir Vorschläge geliefert, wie sich die drängenden Fragen von Entlastung und Nachwuchsförderung lösen lassen. Dass die Arbeitgeber nicht einmal zu einer Verhandlung bereit sind, verhöhnt die Beschäftigten und torpediert jede Bemühung, eine Verkehrswende zu erreichen.” Mit dem Warnstreik wolle die Gewerkschaft ein “deutliches Signal” senden.
Im Tarifkonflikt mit bundesweit 130 ÖPNV-Unternehmen fordert die Gewerkschaft nach eigenen Angaben seit dem Frühjahr die Verhandlung eines bundesweiten Rahmentarifvertrages. Zudem solle die Ungleichbehandlung in den Bundesländern beendet werden. Nach “langer interner Diskussion” hätten sich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) am Wochenende jedoch gegen Verhandlungen ausgesprochen.
In Baden-Württemberg sind nach Angaben des Verdi-Landesbezirk mehr als eine Million Fahrgäste betroffen, die täglich von den acht Verkehrsunternehmen im Südwesten befördert werden. Insgesamt seien 8600 Beschäftigte zum Streik aufgerufen. In Nordrhein-Westfalen sind nach Angaben des Landesbezirks 30.000 Beschäftigte zum Streik aufgerufen, in Rheinland-Pfalz sind es 2000 Mitarbeiter.
VKA-Hauptgeschäftsführer Niklas Benrath kritisierte die Streikankündigung mit scharfen Worten. Das Vorgehen von Verdi sei “ein Anschlag auf die Allgemeinheit und die Wirtschaftlichkeit der kommunalen Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs”, erklärte er. “Es ist unverantwortlich, gerade in dieser krisengeplagten Zeit – denken Sie nur an die eingebrochenen Fahrgastzahlen und Einnahmen bei den Nahverkehrsbetrieben das gesamte Land nunmehr mit einer Streikwelle zu überziehen.”
Es sei “nicht hinnehmbar”, dass zu den derzeitigen Tarifkonflikten im öffentlichen Dienst nun auch noch Warnstreiks im ÖPNV kommen. Verhandlungen mit Verdi auf Bundesebene waren nach VKA-Angaben abgelehnt worden, weil die Gewerkschaften parallel in den Ländern Tarifverhandlungen führen.
Der Städte- und Gemeindebund sprach von einem “verheerenden Signal”. “Warnstreiks werden dazu führen, dass nur wenige Busse und Bahnen fahren, diese dann sehr voll sind und damit die Ängste der Nutzer zusätzlich erhöht werden”, warnte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, in den Zeitungen der Funke Mediengruppe. “Das wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger weiter erschüttern.” Dabei sei die Finanzlage der Verkehrsbetriebe bereits jetzt “katastrophal”.
Unterstützung kam dagegen von der Linkspartei. “Wir brauchen endlich einen einheitlichen Rahmen für gute Arbeitsbedingungen im öffentlichen Nahverkehr von Baden-Württemberg bis Mecklenburg-Vorpommern”, erklärte der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, Pascal Meiser. “Der dringend notwendige Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs braucht ausreichend und motiviertes Personal und das gibt es nicht zum Nulltarif.”
by ODD ANDERSEN