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Vaterschaftsanfechtung führt nicht zu Verlust von deutscher Staatsangehörigkeit

Ein Kind kann seine mit der Geburt erworbene deutsche Staatsbürgerschaft nicht infolge einer erfolgreichen späteren Anfechtung der Vaterschaft rückwirkend wieder verlieren. Das entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) im niedersächsischen Lüneburg nach Angaben vom Donnerstag. Es fehle an einer gesetzlichen Grundlage, die den Entzug in dieser Konstellation anordne. (Az.: 13 LC 287/22).

Das OVG urteilte im Fall eines etwa vierjährigen Mädchens, deren Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsbürgerschaft die Stadt Lüneburg abgelehnt hatte. Das Kind beziehungsweise seine rechtlichen Vertreter wehrten sich dagegen zunächst erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht in Lüneburg, das OVG wies die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung der Stadt nun zurück und bestätigte das Urteil. Die Stadt muss der Klägerin die Staatsangehörigkeit nun bestätigten.

Der Hintergrund ist juristisch komplex. Nach Gerichtsangaben ist die Mutter der Klägerin eine ausländische Staatsbürgerin, die zum Zeitpunkt der Geburt des Mädchen 2019 mit einem Deutschen verheiratet war. Daher erhielt dieses bei Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft. Im Jahr darauf wurde die Ehe geschieden, woraufhin die Mutter und das Kind auch die Vaterschaft anfochten.

Ein Familiengericht stellte daraufhin fest, dass nicht der frühere deutsche Partner der Mutter der Vater ist, sondern ein anderer Mann mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Unter Verweis auf die erfolgte Vaterschaftsanfechtung verweigerte die Stadt Lüneburg dem Mädchen 2021 wiederum die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit. Diese sei in der Folge wieder verloren gegangen.

Laut Urteil des obersten niedersächsischen Verwaltungsgerichts ist genau dies aber nicht möglich. Das Grundgesetz stelle unmissverständlich klar, dass der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nur auf Basis einer gesetzlichen Grundlage erfolgen könne, die dies "ausdrücklich anordne". Genau daran aber fehle es in der die Klägerin betreffenden Konstellation, betonte das OVG.

Demnach treffen weder das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) noch das sogenannte Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) Vorkehrungen für diesen Fall. Das BGB regle nur die familienrechtlichen Folgen der Vaterschaftsanfechtung. Die relevante Norm des StAG lege nur die Bedingungen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft bei Geburt eines Kinds fest, allerdings nicht die für einen etwaigen Verlust.

Zwar geht der Gesetzgeber nach Ansicht des Lüneburger OVG dabei insgesamt durchaus von "ungeschriebenen Annahmen" aus - darunter unter anderem auch der, dass alle staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelungen "in vollem Umfang" den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgen. Daraus folge implizit, dass bei erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung auch die Staatsangehörigkeit entfalle. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang aber, dass das StAG den Verlust der Staatsbürgerschaft in diesem Fall eben nicht explizit anordne.

Die deutsche Verfassung knüpft den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit an strenge rechtsstaatliche Bedingungen, was eine Konsequenz aus Erfahrungen im Nationalsozialismus ist. Das NS-Regime bürgerte Intellektuelle und politische Gegner aus, später entzog es auch allen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern vor Deportation oder Emigration die Staatsbürgerschaft und machte sie staatenlos.

Eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht ließ das Lüneburger Gericht nicht zu. Dagegen kann allerdings bei diesem noch eine Beschwerde eingelegt werden.

bro/cfm