Die USA und ihre Nato-Partner beginnen Anfang Mai ihren Truppenabzug aus Afghanistan – damit nähert sich ein seit 20 Jahren andauernder Militäreinsatz am Hindukusch nun dem Ende. Die Außen- und Verteidigungsminister der 30 Nato-Länder beschlossen am Mittwoch, am 1. Mai “geordnet, koordiniert und überlegt” den Abzug zu starten. US-Präsident Joe Biden sagte in einer Rede, die US-Mission in Afghanistan habe ihr Ziel “erfüllt”.
Alle Nato-Truppen sollen Afghanistan laut dem Ministerbeschluss “innerhalb weniger Monate” verlassen. Laut Biden sollen die US-Soldaten spätestens bis zum 11. September das Land verlassen haben – dies ist der 20. Jahrestag der Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und das US-Verteidigungsministerium, die der Auslöser der US-Invasion in Afghanistan waren. Die US-Armee stürzte damals die Regierung der radikalislamischen Taliban, die dem Terrornetzwerk Al-Kaida Unterschlupf geboten hatte.
“Wir sind gemeinsam nach Afghanistan gegangen (…), und wir werden es gemeinsam verlassen”, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Die Entscheidung sei dennoch nicht leicht, sie sei “mit Risiken verbunden”. Aber die Alternative wäre ein langfristiges militärisches Engagement, “möglicherweise mit mehr Nato-Truppen”. Insgesamt befinden sich derzeit rund 9600 Nato-Soldaten in dem Land, darunter 1100 Bundeswehrsoldaten.
“Nur die Afghanen können Frieden in ihrem Land schaffen”, betonte Stoltenberg. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) unterstrich die internationale Unterstützung für die Friedensverhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban. Diese Verhandlungen müssten zu “nachhaltigen Ergebnissen” führen, damit nicht wieder “Chaos” in Afghanistan ausbreche, sagte Maas in den ARD-“Tagesthemen”.
Der über mehrere Monate gestreckte Truppenabzug soll nach Worten des Bundesaußenministers gewährleisten, dass während des Rückzugs die Sicherheit der Nato-Verbände gewährleistet ist. Dies wäre bei einem “überstürzten” Abzug aller Truppen bereits zum 1. Mai “sicherlich nicht der Fall gewesen”, betonte Maas mit Blick auf die Abzugspläne des früheren US-Präsidenten Donald Trump.
Beobachter befürchten allerdings eine neue Eskalation des afghanischen Bürgerkriegs nach dem Abzug der westlichen Truppen – und eine Rückkehr der Taliban an die Macht. Die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung in Kabul und den Islamisten haben bislang kaum Fortschritte gebracht. Afghanistans Präsident Aschraf Ghani versicherte am Mittwoch aber, “Afghanistans stolze Sicherheits- und Verteidigungskräfte” seien “vollständig in der Lage, ihre Menschen und ihr Land zu verteidigen”.
Biden sagte in seiner im Fernsehen übertragenen Ansprache, die US-Streitkräfte seien nach den Anschlägen von 9/11 in Afghanistan einmarschiert, damit es nicht erneut Ausgangspunkt von Attacken gegen die USA werde. “Wir haben dieses Ziel erfüllt.” Es sei jetzt Zeit, “diesen endlosen Krieg zu beenden”.
“Wir sind wegen eines entsetzlichen Angriffs vor 20 Jahren in Afghanistan einmarschiert”, sagte Biden, der am Mittwoch auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte. “Das kann nicht erklären, warum wir im Jahr 2021 dort bleiben sollten.”
Biden verlangte zugleich von den radikalislamischen Taliban die Einhaltung ihrer Zusage, nicht zuzulassen, dass “Terroristen von afghanischem Boden aus die USA oder ihre Verbündeten bedrohen”. Auch die afghanische Regierung habe eine solche Zusicherung abgegeben. Biden versprach der Regierung in Kabul weitere – wenn auch nicht militärische – Unterstützung in der Zukunft. Er rief die Regionalmacht Pakistan sowie Russland, China, Indien und die Türkei auf, dies ebenfalls zu tun.
Ein militärischer Sieg über die Taliban war den USA und ihren Verbündeten nie gelungen. Bidens Vorgänger Donald Trump sagte den Islamisten vergangenes Jahr dann einen Abzug bereits bis zum 1. Mai zu – eine Frist, die Biden um rund vier Monate überschreiten wird.
by Von Fabian Erik SCHLÜTER und Peter EßER