Die Regierungen der USA, Russlands und Deutschlands haben die Parteien im wieder aufgeflammten Konflikt um die Kaukasusregion Berg-Karabach zu einem sofortigen Ende der Kämpfe aufgerufen. Ungeachtet der internationalen Appelle gingen die Gefechte zwischen der aserbaidschanischen Armee und pro-armenischen Truppen am Dienstag aber weiter, seit Sonntag wurden dabei mindestens 99 Menschen getötet. Am Dienstagabend berät der UN-Sicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung über den Konflikt.
Am dritten Tag der Gefechte in dem umkämpften Gebiet im Südkaukasus startete die aserbaidschanische Armee eine neue Offensive in dem von Armenien unterstützten De-facto-Staat Berg-Karabach.
Die armenischen Streitkräfte hätten in "mehreren Bereichen der Front" auf die aserbaidschanische Offensive reagiert, teilte das armenische Verteidigungsministerium mit. "Der Feind" habe dabei schwere Verluste erlitten. Aserbaidschan hat demnach seit Ausbruch der Kämpfe am Sonntag 49 Drohnen, vier Hubschrauber, 80 Panzer und ein Militärflugzeug verloren.
Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium erklärte seinerseits, mit den Angriffen auf einen "armenischen Versuch einer Gegenoffensive" in Berg-Karabach reagiert zu haben. Bei der Offensive auf die Stadt Fizuli seien zehn Kämpfer der armenischen Seite getötet sowie mehrere Fahrzeuge und Panzer zerstört worden, erklärte das aserbaidschanische Ministerium weiter.
Insgesamt wurden seit Beginn der Kämpfe am Sonntag 99 Todesopfer gemeldet, darunter zehn aserbaidschanische und fünf armenische Zivilisten. Aserbaidschan meldete bislang keine Opfer in seinen Streitkräften. Die pro-armenischen Behörden in Berg-Karabach veröffentlichten jedoch Videos aus der Kampfzone, in der angeblich die Leichen aserbaidschanischer Soldaten zu sehen sind.
Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um das umstrittene Gebiet Berg-Karabach schwelt bereits seit Jahrzehnten. Nach einem blutigen Krieg mit 30.000 Toten hatte das ehemals autonome sowjetische Gebiet Anfang der 90er Jahre seine Unabhängigkeit von Aserbaidschan erklärt. Die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region wird jedoch von keinem Land als eigener Staat anerkannt und gilt international nach wie vor als Teil Aserbaidschans. Militärisch und wirtschaftlich wird es jedoch von Armenien unterstützt.
Mehrere Staaten riefen die Konfliktparteien am Dienstag eindringlich zu einer Waffenrufe auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte in Telefonaten mit dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan sowie dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew eine Rückkehr an den Verhandlungstisch im Rahmen der Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Bundesaußenminister Maas schrieb im Online-Dienst Twitter nach einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu: "Kampfhandlungen müssen beendet werden, friedliche Lösung muss das Ziel sein."
Russlands forderte besonders die Türkei auf, die Aserbaidschan militärisch unterstützt, sich für ein Ende der Kämpfe einzusetzen. "Wir fordern alle Seiten, insbesondere Partnerländer wie die Türkei, dazu auf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um einen Waffenstillstand und eine friedliche Beilegung des Konflikts mit politischen und diplomatischen Mitteln zu erreichen", sagte ein Kreml-Sprecher. Im Südkaukasus streben Russland und die Türkei nach größerem Einfluss.
Auch US-Außenminister Mike Pompeo forderte bei einem Besuch in Griechenland ein Ende der Kämpfe und "so schnell wie möglich" eine Rückkehr zu Verhandlungen.
Die Außenpolitikerin der Linken im Bundestag, Sevim Dagdelen, forderte eine Aufklärung der Rolle der Türkei in dem Konflikt. Die Bundesregierung müsse sich bei der Nato dafür einsetzen, die Unterstützung der Türkei an Aserbaidschan "etwa durch die Entsendung islamistischer Söldner, F-16-Kampfjets und Kampfdrohnen" zu untersuchen. "Die Nato muss das Zündeln der Türkei im Südkaukasus verurteilen. Notwendig ist ein Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei", erklärte sie.
Armenien und Aserbaidschan werfen sich gegenseitig vor, Unterstützung aus dem Ausland zu erhalten. Russland steht in dem Konflikt eher auf der Seite Armeniens. Aktivisten der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichteten wiederum von mehr als 300 pro-türkischen Kämpfern, die die Türkei aus Syrien nach Berg-Karabach verlegt habe.
Wie die Nachrichtenagentur AFP aus Diplomatenkreisen erfuhr, beschäftigt sich der UN-Sicherheitsrat am Dienstagabend ab 23.00 Uhr mit dem Berg-Karabach-Konflikt. International besteht die Befürchtung, dass sich der Konflikt ausweiten könnte.
by Von Mariam HARUTYUNYAN und Emil GOULIEV