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Urteil zu Klimafonds hat massive Auswirkungen auf gesamte Haushaltsführung

Rund eine Woche nach dem Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird mehr und mehr deutlich, dass dessen Auswirkungen erheblich weitreichender sind als zunächst angenommen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) ordnete in der Nacht zum Dienstag für den Bundeshaushalt 2023 eine Sperre für alle neuen Ausgabenentscheidungen an, die die in die Folgejahre reichen. Kontrovers debattiert wurde weiter über den Zeitplan für den Beschluss zum Etat für das kommende Jahr.

Nach dem Urteil hatte Lindner zunächst nur eine Ausgabensperre für den Klimafonds verhängt. Am Montagabend hieß es aus dem Bundesfinanzministerium, es würden für 2023 auch für andere Haushaltsbereiche sogenannte Verpflichtungsermächtigungen gestoppt, die Ausgaben für die kommenden Jahre festlegen. Bestehende Verbindlichkeiten würden aber eingehalten.

Die Union forderte als Konsequenz aus dem Urteil erneut eine Verschiebung der Beschlüsse zum Etat 2024. Nach der Planung der Ampel-Koalition soll die Beratung darüber an diesem Donnerstag im Haushaltsausschuss abgeschlossen und der Etat dann am 1. Dezember vom Bundestag beschlossen werden.

Die Bundesregierung müsse zunächst Klarheit darüber schaffen, wie sie durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestrichene Mittel ersetzen wolle, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Mathias Middelberg. Alles andere wäre "grob fahrlässig" und könne erneut zu einem verfassungswidrigen Haushalt führen.

Auf einer Expertenanhörung im Haushaltsausschuss des Bundestages gab es dazu unterschiedliche Einschätzungen. Der Düsseldorfer Wissenschaftler Jens Südekum sagte, er sehe keine Hindernisse für die Verabschiedung des Etats für 2024. Allerdings müsse es dann später dazu voraussichtlich einen Nachtragshaushalt geben. Der Heidelberger Wissenschaftler Hanno Kube sagte dagegen, zunächst müsse der Haushalt 2023 rechtlich abgesichert werden. Das Verfahren für 2024 solle bis dahin zurückgestellt werden.

Hintergrund ist, dass von dem Urteil neben dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) auch ein weiteres Sondervermögen im Bundeshaushalt betroffen sein könnte, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Daraus werden derzeit vor allem die Energiepreisbremsen bezahlt. Müssten diese Zahlungen für das laufende Jahr beim WSF rückabgewickelt und in den Kernhaushalt übertragen werden, hätte das erhebliche Auswirkungen für den Gesamthaushalt 2023. Zudem wäre die Weiterführung der Energiepreisbremsen für 2024 dann fraglich. 

Ebenfalls für Unsicherheit sorgen die Vorbehalte der Karlsruher Richter gegen Kredite, die über mehrere Jahre hinweg in Anspruch genommen werden können. Sorgen gibt es zunehmend auch wegen geplanter Industrieansiedlungen vor allem in Ostdeutschland, die eigentlich mit Mitteln aus dem Klimafonds gefördert werden sollten.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich stellte vor diesem Hintergrund grundsätzlich die Schuldenbremse in Frage. "Wir werden aus meiner Sicht nicht darum herumkommen, für 2024 die Ausnahmeregel zu ziehen – womöglich auch länger", sagte er dem "stern". Die Koalition solle rasch das Bestehen einer Notlage "mit der Kanzlermehrheit" im Bundestag feststellen.

Auch die Grünen unterstützen eine Aussetzung oder Lockerung der Schuldenbremse. Die FDP lehnt dies allerdings bisher ebenso wie die CDU/CSU-Opposition ab. Forderungen aus Union und FDP nach Kürzungen im Sozialbereich erteilten umgekehrt SPD und Grüne eine Absage. Dafür werde die SPD ebenso wie für einen Verzicht auf die notwendige Transformation unserer Gesellschaft "niemals die Hand heben", stellte Kühnert klar.

Die Linkspartei forderte darüber hinaus den Rücktritt Lindners und mit Blick auf die Haushaltslöcher eine Vermögensabgabe für Reiche. Wer in dieser Krise eine Aussetzung der Schuldenbremse ebenso blockiere wie ein Sondervermögen für Zukunftsinvestitionen, sei eine "unmittelbare Gefahr für unsere Demokratie", sagte Linken-Parteichef Martin Schirdewan dem "Wir" mit Blick auf Lindner. Eine "Klimareichensteuer" verlangte im Redaktionsnetzwerk Deutschland Fraktionschef Dietmar Bartsch.

bk/mt