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Untersuchungshaft für türkischen Kulturförderer Kavala verlängert

Erdogan-Kritiker vergleicht Vorgehen der Justiz mit Nazi-Schauprozessen

Ein türkisches Gericht hat die Untersuchungshaft des seit mehr als drei Jahren inhaftierten Menschenrechtsaktivisten und Kulturförderers Osman Kavala erneut verlängert. Der bei der Anhörung am Freitag per Video aus dem Silivri-Hochsicherheitsgefängnis zugeschaltete Kavala zog eine Parallele zwischen dem Vorgehen der türkischen Justiz in seinem Fall und den nationalsozialistischen Schauprozessen. "Die Vorwürfe gegen mich ändern sich ständig", beklagte er. Deutschland und Frankreich forderten die sofortige Freilassung des 63-Jährigen.

Kavala war ursprünglich wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die regierungskritischen Gezi-Proteste in Istanbul im Jahr 2013 finanziert und organisiert zu haben. Im Februar des vergangenen Jahres sprach ein Gericht ihn von diesem Vorwurf frei. Kavala wurde daraufhin nach zweieinhalb Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, jedoch wenige Stunden später erneut festgenommen - diesmal im Zusammenhang mit dem Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan 2016 und Spionagevorwürfen.

Im Januar dieses Jahres hob ein Berufungsgericht den ersten Freispruch auf. Bei einer Verurteilung wegen der Spionagevorwürfe droht Kavala lebenslange Haft. Die nächste Anhörung in dem Verfahren soll am 6. August stattfinden.

Kavala verglich seine Situation mit einem "Staffelstab, der bei einem Staffellauf übergeben" werde. "Verschiedene Richter und Gerichte übergeben sich meine Festnahme, ohne sie fallen zu lassen". Insbesondere die Spionagevorwürfe gegen ihn ähnelten dem im Nationalsozialismus gängigen Straftatbestand des "Landesverrats", sagte er.

Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten mehrere Dutzend Anhänger Kavalas gegen dessen andauernde Inhaftierung. "Kavala, der sich immer noch als politischer Gefangener im Gefängnis befindet, obwohl es keine konkreten Beweise gegen ihn gibt, sollte freigelassen werden", sagte der Demonstrant Akif Burak Atlar.

Auch Berlin und Paris kritisierten die Fortsetzung des Verfahrens gegen Kavala scharf. "Osman Kavala ist seit inzwischen fast 1.300 Tagen eingesperrt, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits vor fast anderthalb Jahren seine sofortige Freilassung gefordert hat", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Bärbel Kofler und der französischen Menschenrechtsbotschafterin Delphine Borione. Der Umgang der Türkei mit Kavala und die Nicht-Umsetzung des EGMR-Urteils seien "eines Rechtsstaats und langjährigen Mitglieds des Europarats unwürdig". Kavala müsse unverzüglich freigelassen werden.

Der in Paris geborene Kavala betreibt einen der größten Verlage der Türkei und setzt sich mit seiner Organisation Anadolu Kültür für den Dialog der Volksgruppen etwa im Kurden-Konflikt oder mit den Armeniern ein. Er gehörte zudem zu den Gründern des türkischen Zweigs der Open Society Foundation des US-Philanthropen George Soros. Die Stiftung fördert demokratische Bewegungen in zahlreichen osteuropäischen Ländern. Soros, der ungarisch-jüdischer Abstammung ist, ist das Feindbild vieler Populisten.

by OZAN KOSE