Großen deutschen Firmen drohen künftig Millionenstrafen, wenn sie ihren Pflichten zur Einhaltung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferkette nicht nachkommen. Das Kabinett beschloss am Mittwoch ein Lieferkettengesetz, das allerdings kleine und mittlere Unternehmen explizit ausnimmt. Die Regierungsparteien sprachen von einem "wichtigen Tag für die Menschenrechte" - zivilgesellschaftliche Organisationen kritisierten den Entwurf hingegen als unzureichend und forderten deutliche Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren.
Das Gesetz soll ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3000 in Deutschland Beschäftigten gelten, ab 2024 dann auch für Firmen ab 1000 Beschäftigten. Sie sind dann dazu verpflichtet, "in angemessener Weise" menschenrechtliche Risiken "zu ermitteln, ihnen zu begegnen, darüber zu berichten und Beschwerdeverfahren zu ermöglichen".
Die Sorgfaltspflichten gelten jedoch in umfassender Form "nur im eigenen Geschäftsbereich und bei den unmittelbaren Zulieferern". Mittelbare Zulieferer kommen erst dann ins Spiel, wenn das Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen auf dieser Ebene erfährt.
Bei Verstößen drohen Bußgelder je nach Vergehen zwischen 100.000 und 800.000 Euro. Übersteigt der weltweite durchschnittliche Jahresumsatz des Unternehmens 400 Millionen Euro, kann das Bußgeld sogar bis zu zwei Prozent des Umsatzes betragen. Firmen können außerdem vorübergehend von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.
"Der wirtschaftliche Erfolg darf nicht auf Menschenrechtsverletzungen in unseren Lieferketten beruhen", sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Das Wirtschaftsministerium erklärte, das Gesetz stelle sicher, dass dort, wo es zu Verletzungen komme, "diese auch angegangen werden und so die Situation der Betroffenen verbessert wird". Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ergänzte, mit dem Gesetz würden Arbeitnehmer entlang der Lieferkette vor Ausbeutung geschützt.
Der Referentenentwurf kommt nun in den Bundestag, das Gesetz soll bis Mitte des Jahres verabschiedet werden. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zeigte sich "zuversichtlich" und "hoffnungsfroh", dass das Gesetz noch in dieser Legislatur beschlossen werde.
Eine ganze Reihe von zivilgesellschaftlichen Akteuren hofft nun darauf, dass der Entwurf im parlamentarischen Verfahren nachgebessert wird. Der Schutz von Umwelt und Klima bleibe in dem Entwurf "größtenteils unberücksichtigt" und spiele "nur eine Nebenrolle", kritisierten die Deutsche Umwelthilfe und der WWF. Außerdem werde "nicht die gesamte Wertschöpfungskette mit gleicher Sorgfalt" betrachtet. Jedoch passierten gerade am Anfang der Wertschöpfungsketten Menschenrechts- und Umweltverstöße.
Die Initiative Lieferkettengesetz, der über 100 zivilgesellschaftliche Organisationen angehören, begrüßt zwar grundsätzlich das Vorhaben. Sie kritisierte jedoch, dass der Gesetzentwurf geltende Menschenrechtsstandards der UNO und der OECD unterlaufe, weil nicht die gesamte Lieferkette betrachtet werde. Außerdem fehle eine zivilrechtliche Haftung. Das kritisierte auch der Verbraucherzentrale Bundesverband und sprach von einem "Lieferkettengesetz light". Wirkungsvoller wären außerdem Bußgelder von bis zu zehn Prozent des Umsatzes.
Linke und Grüne sowie die Gewerkschaften Verdi und IG Metall forderten ebenfalls deutliche Nachbesserungen - vor allem hinsichtlich der Zahl der betroffenen Unternehmen und der Berücksichtigung der gesamten Lieferkette. Auch der Deutsche Bauernverband zeigte sich kritisch und plädierte für einen europäischen Ansatz.
Der Maschinenbauverband VDMA hält hingegen die Sanktionsdrohungen in dem Gesetz für "völlig überzogen". Die Bußgelder könnten im Einzelfall für Unternehmen "den Ruin bedeuten", denn es reiche aus, dass eine geforderte Risikoanalyse der Lieferketten "nicht vollständig" erfolgt sei, kritisierte der Verband. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) forderte ebenfalls "verhältnismäßige" Sanktionen. Es sei "problematisch", dass der Entwurf nicht nur für vorsätzliche, sondern auch für fahrlässige Vergehen drastische Strafen vorsehe.
Auch dem Chemieverband VCI gehen einige Regeln zu weit - so müsse der Anwendungsbereich auf die Zulieferer begrenzt werden, statt auch den "eigenen Geschäftsbereich" von Firmen zu erfassen. Außerdem bleibe offen, was ein "angemessenes" Unternehmenshandeln konkret sei.
by CHAIDEER MAHYUDDIN