Nach einer der schwersten russischen Angriffswellen auf die Ukraine seit Kriegsbeginn hat ein hochrangiger UN-Vertreter ein "sofortiges" Ende der Attacken gefordert. "Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastrukturen verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht, sind inakzeptabel und müssen sofort eingestellt werden", forderte der Unter-Generalsekretär für Nahost und Asien, Mohamed Khiari, bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats. Russische Behörden meldeten indes in der Nacht zu Samstag mehrere ukrainische Angriffe auf russische Grenzregionen.
"Bedauerlicherweise waren die heutigen entsetzlichen Angriffe nur die jüngsten in einer Reihe eskalierender Attacken" Russlands, sagte UN-Vertreter Khiari am Freitag. Der Generalsekretär verurteile "die heutigen entsetzlichen Angriffe auf Städte und Gemeinden in der Ukraine unmissverständlich und aufs Schärfste", fügte er hinzu. Nach Angaben des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba hatten die Ukraine und drei Dutzend weitere UN-Mitgliedsländer die Sitzung des UN-Sicherheitsrats angefordert.
Bei einer der heftigsten russischen Angriffswellen auf die Ukraine seit Kriegsbeginn waren am Freitag ukrainischen Angaben zufolge mindestens 30 Menschen getötet und mehr als 160 weitere verletzt worden. Demnach wurden unter anderem Schulen, eine Geburtsklinik, Einkaufzentren und Wohnhäuser getroffen.
Die russische Armee erklärte in ihrem täglichen Lagebericht, dass sie im Zeitraum vom 23. bis 29. Dezember "50 Gruppenangriffe und einen massiven Angriff" ausgeführt habe. Dabei seien "alle Ziele" getroffen worden.
Der russische UN-Botschafter Wassily Nebensia schob die Schuld an den Todesfällen auf den fehlerhaften Gebrauch der ukrainischen Luftabwehrsysteme, deren Nutzung "zum Tod von Zivilisten geführt" habe.
Polnischen Armeeangaben zufolge hatte am Freitagmorgen eine russische Rakete auch den Luftraum des Nato-Mitglieds Polen durchflogen. "Wir haben einen ernsten Vorfall einer Verletzung des polnischen Luftraums durch eine russische Rakete registriert", sagte der UN-Botschafter Polens, Krzysztof Szczerski. "Der Vorfall wird nun vom polnischen Militär und den zuständigen Sicherheitsdiensten untersucht."
Nach ukrainischen Behördenangaben richteten sich die Angriffe mit Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern am Freitag gegen mindestens sechs Regionen des Landes, darunter Charkiw im Nordosten, Lwiw im Westen, Dnipro im Osten und Odessa im Süden. Getroffen wurden auch wichtige Infrastruktur sowie militärische und zivile Industrieanlagen, wie der Generalstab mitteilte. Demnach setzte Russland 158 Drohnen und Raketen ein. 88 Raketen und 27 Drohnen seien zerstört worden.
Es handele sich um eine "Rekordzahl" von Raketen, sagte Luftwaffen-Sprecher Juri Ignat. Abgesehen von den ersten Kriegstagen im Februar 2022 seien es die bislang "massivsten Angriffe" auf die Ukraine gewesen. Russland versuchte dabei die Luftabwehr über den ukrainischen Großstädten zu überwältigen, indem es eine Welle von Schahed-Kampfdrohnen startete, denen Raketen folgten.
Am Samstag meldeten russische Behörden mehrere ukrainische Angriffe auf russische Grenzregionen. Bei einem ukrainischen Angriff auf ein Wohnhaus in der russischen Stadt Belgorod wurde nach Angaben des örtlichen Regionalgouverneurs in der Nacht zu Samstag ein Mensch getötet und vier weitere verletzt. Auch das Wasserversorgungssystem der Stadt sei beschädigt worden. Die Luftabwehr habe insgesamt 13 Raketen über der Region abgeschossen, erklärte das russische Verteidigungsministerium.
In einer separaten Erklärung gab das Ministerium an, dass in den Grenzregionen Briansk und Kursk sowie der Hauptstadtregion Moskau und der Region Orjol 32 Drohnen abgefangen und zerstört worden seien.
US-Präsident Joe Biden appellierte unterdessen an den Kongress, im neuen Jahr weitere Ukraine-Hilfen zügig zu bewilligen. "Wenn der Kongress im neuen Jahr nicht dringend handelt, werden wir nicht in der Lage sein, weiterhin die Waffen und die lebenswichtigen Luftabwehrsysteme zu liefern, die die Ukraine zum Schutz ihrer Bevölkerung benötigt", sagte Biden. Der Kongress müsse "handeln und zwar ohne weitere Verzögerung".
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