Nach den zurückhaltenden Äußerungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Ukraine die Dringlichkeit ihrer Bitte um die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper bekräftigt. "In der jetzigen Phase ist es von entscheidender Bedeutung, das umfangreiche rückwärtige Unterstützungssystem der russischen Besatzungstruppen zu zerschlagen", sagte der ukrainische Präsidentenberater Mykhailo Podolyak der "Bild"-Zeitung vom Montag. Er versicherte erneut, dass die Ukraine das Waffensystem nicht zu Angriffen auf russisches Gebiet einsetzen werde.
Die Ukraine müsse insbesondere Nachschubreserven, die rückwärtige logistische Infrastruktur, Munitionsdepots sowie Stützpunkte angreifen, die Russland in den von ihm besetzten ukrainischen Gebieten errichtet habe, sagte Podolyak. "All dies befindet sich jedoch in einer Entfernung von 100, 200, 300 Kilometern von der Frontlinie." Nur Waffensysteme wie Taurus könnten solche Entfernungen erreichen. Taurus hat eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern.
Die Störung der russischen Infrastruktur würde "die Kampfkraft der Russen erheblich reduzieren" und folglich auch "die Verluste auf unserer Seite", sagte der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Podolyak sicherte erneut zu, dass die Ukraine die deutschen Marschflugkörper nicht gegen Ziele auf russischem Territorium einsetzen würde, sondern "ausschließlich auf dem Territorium der Ukraine innerhalb der international anerkannten Grenzen von 1991".
Scholz hatte sich am Sonntag erneut nicht für eine Lieferung der Marschflugkörper ausgesprochen. "So wie in der Vergangenheit werden wir jede einzelne Entscheidung immer sehr sorgfältig überprüfen", sagte er lediglich im ZDF. Er wolle sich in dieser Frage nicht unter Druck setzen lassen. Zu Berichten, wonach auch eine technische Reichweitenbegrenzung der Taurus-Marschflugkörper möglich sei, sagte Scholz: "Wir beschäftigen uns mit all den Fragen, die an uns herangetragen werden."
In der Koalition hatten sich in den vergangenen Wochen insbesondere Vertreter von FDP und Grünen für die Taurus-Lieferung ausgesprochen. "Es geht um jeden Tag", sagte die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, den Sendern RTL und ntv. Angesichts der Tatsache, dass seit Monaten über die Marschflugkörper gesprochen werde, richte sie die Bitte an Scholz, seinen "Gedanken-Prozess relativ schnell abzuschließen".
"Auch Verzögern und Verweigern kann einen hohen Preis haben und zur Eskalation beitragen", warnte die Grünen-Fraktionsvize Agnieszka Brugger in der "Süddeutschen Zeitung" vom Montag. Alle Argumente seien ausgetauscht. "Die Bundesregierung sollte schnell und positiv entscheiden",
Die seit mehreren Tagen diskutierte Reichweitenbegrenzung gilt als möglicher Kompromiss, um Widerstände vor allem innerhalb der SPD auszuräumen. Bei den Sozialdemokraten wird bisher vielfach vor einer Eskalationsgefahr in dem Konflikt gewarnt, wenn der Ukraine das Waffensystem mit einer Reichweite von über 500 Kilometern geliefert werde.
Der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, sah die Reichenweitenbegrenzung aber kritisch. Diese bei Taurus zu limitieren, sei "wie den Fußballspielern der Nationalmannschaft zu verbieten, die Spielfeldhälfte des Gegners zu betreten oder Elfmeter zu schießen", schrieb er im Online-Dienst X (vormals Twitter).
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko kritisierte das Zögern auf deutscher Seite. "Wir brauchen sie ganz dringend. Wir brauchen Verteidigungswaffen", sagte er dem Sender Welt nach einem Treffen mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bei dessen Besuch in Kiew mit Blick auf Taurus. "Verzögerung bei der Waffenlieferung macht es sehr schwierig für unser Militär. Und die zahlen den höchsten Preis: Das Leben unserer Soldaten."
mt/bk