Inmitten ihrer Bemühungen um eine wirkungsvolle Gegenoffensive gegen die russischen Angreifer hat die Ukraine eingeräumt, im Osten des Landes in der Defensive zu sein. "Zwei Tage in Folge hat der Feind im Sektor Kupjansk in der Region Charkiw aktiv angegriffen. Wir sind in der Defensive", erklärte am Sonntag die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar. Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete seinerseits Kiews im Juni begonnene Gegenoffensive als erfolglos.
"Es finden heftige Kämpfe statt, und Positionen (...) verändern sich mehrfach am Tag", erklärte Maljar im Onlinedienst Telegram. Aber rings um Kupjansk seien die ukrainischen Truppen derzeit "in der Defensive". Zugleich sprach die Vize-Ministerin von "allmählichen" Fortschritten nahe der umkämpften Stadt Bachmut.
Im vergangenen Monat hatte die Ukraine eine lange erwartete Gegenoffensive gestartet. Kiew hat jedoch bereits schwierige Kämpfe eingeräumt und seine Verbündeten zur Lieferung von weiteren Waffen und Artillerie mit großer Reichweite aufgefordert. Am Freitag hatte der Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, eingeräumt, dass es bei der ukrainischen Gegenoffensive "nicht so schnell" vorangehe.
Maljar gab nun jedoch an, dass die ukrainischen Truppen nahe Bachmut "allmählich vorrücken". "Es gibt einen täglichen Vorstoß an der südlichen Flanke um Bachmut. An der Nordflanke versuchen wir unsere Positionen zu halten, der Feind greift an", erklärte die Vize-Ministerin weiter.
Bachmut war im Mai von den russischen Truppen eingenommen worden. Die Stadt hatte einstmals 70.000 Einwohner, wurde aber von den längsten und blutigsten Gefechten im russischen Angriffskrieg in der Ukraine zerstört.
Der ukrainische Generalstab meldete zudem am Sonntag aus dem Süden des Landes eigene Angriffe in Richtung der russisch besetzten Städte Melitopol und Berdjansk.
Kremlchef Putin bezeichnete seinerseits die Lage an der Front für die russischen Streitkräfte als "positiv". Alle "Versuche des Feindes", die russischen Verteidigungslinien zu durchbrechen, seien "während des gesamten Zeitraums der Offensive" erfolglos geblieben, sagte Putin einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit dem russischen Staatsfernsehen. "Der Feind hat keinen Erfolg gehabt." Die russischen Truppen verhielten sich "heldenhaft", sagte Putin weiter. "Unerwartet für den Gegner" gingen "sie in einigen Sektoren sogar in die Offensive und erobern vorteilhaftere Positionen".
Russland meldete am Sonntag zudem die Abwehr eines ukrainischen Angriffs mit mindestens zehn Drohnen auf die annektierte Halbinsel Krim. Der "terroristische Angriff" auf Ziele nahe Sewastopol habe weder Opfer noch Schäden verursacht, teilte das Verteidigungsministeriums in Moskau mit. Sewastopol ist der Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs ist die 2014 von Russland annektierte Krim regelmäßig Ziel von Angriffen.
Zu einer möglichen Verlängerung des am Montag auslaufenden Getreideabkommens mit der Ukraine äußerte sich Putin indes am Sonntag nicht. Am Samstag hatte er seine Kritik an dessen Umsetzung mit den Worten erneuert, das Hauptziel des Abkommens sei "nicht erreicht" worden.
Zudem seien die "im entsprechenden Memorandum zwischen Russland und der UNO festgehaltenen Verpflichtungen zur Beseitigung von Hindernissen für den Export russischer Lebensmittel und Düngemittel noch immer nicht erfüllt", sagte Putin laut einer Mitteilung des Kremls in einem Telefonat mit dem südafrikanischen Staatschef Cyril Ramaphosa, der sich um Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine bemüht.
Das Getreideabkommen war im Juli 2022 unter Vermittlung der UNO und der Türkei unterzeichnet worden, um die sichere Ausfuhr von ukrainischem Getreide durch einen Schutzkorridor im Schwarzen Meer zu ermöglichen. Seither wurde das Abkommen mehrmals verlängert, aktuell läuft es am 17. Juli aus. Die Vereinbarung trug dazu bei, die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die globale Nahrungsmittelversorgung abzumildern. Die Ukraine ist einer der größten Getreideproduzenten der Welt.
Am Freitag hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärt, er sei zuversichtlich, dass Putin zu einer Verlängerung des Abkommens bereit sei. Der Kreml bestätigte die Aussagen Erdogans allerdings nicht.
kas/jes