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Über eine Million Menschen fliehen vor israelischer Bodenoffensive aus Norden des Gazastreifens

Mehr als eine Million Menschen sind angesichts der erwarteten israelischen Bodenoffensive aus dem Norden des Gazastreifens geflüchtet. Während die israelische Armee am Montag weitere Soldaten rund um den palästinensischen Küstenstreifen zusammenzog, setzte sie ihre Angriffe auf die Fluchtwege vom Norden in den Süden des Gebiets am Vormittag nach eigenen Angaben aus. Indes stieg die bestätigte Zahl der von Hamas-Kämpfern in Israel entführten Geiseln auf 199 Menschen. 

Seit dem Großangriff der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas am 7. Oktober bereitet Israel eine großangelegte Bodenoffensive in dem Palästinensergebiet vor. Israel forderte 1,1 Millionen Bewohner im Norden des Gebiets zur Flucht in den Süden auf. 

Bei dem Angriff der Hamas wurden nach israelischen Angaben mehr als 1400 Menschen in Israel getötet. Die Kämpfer verschleppten auch zahlreiche Menschen in den Gazastreifen, darunter auch deutsche Staatsbürger. "Wir haben die Familien von 199 Geiseln informiert", sagte der israelische Militärsprecher Daniel Hagari am Montag. "Die Bemühungen zu den Geiseln haben höchste nationale Priorität", sagte er. "Die Armee und Israel arbeiten rund um die Uhr daran, sie zurückzuholen." Am Sonntag hatte Israel die Zahl der Geiseln noch mit 155 angegeben. 

Die israelische Armee nahm den Gazastreifen nach dem Hamas-Angriff unter Dauerbeschuss und riegelte das dicht besiedelte Küstengebiet vollständig ab. Die Lieferung von Treibstoff, Lebensmitteln und Trinkwasser wurde gestoppt. Nach israelischen Angaben wurde am Sonntag die Wasserversorgung im Süden des Gazastreifens wiederhergestellt. Die Anzahl der Todesopfer von israelischen Angriffen im Gazastreifen stieg am Montag nach palästinensischen Angaben auf etwa 2750 Menschen. 

Indes verkündete die israelische Armee, am Vormittag ihre Angriffe auf den Fluchtwegen in den Süden des Gazastreifens auszusetzen. "Zu Ihrer Sicherheit nutzen Sie diesen kurzen Moment, um sich vom Norden und der Stadt Gaza in den Süden zu begeben", forderte Armeesprecher Avichay Adraee die Menschen im vormals Twitter genannten Onlinedienst X auf.

"Wir befinden uns am Beginn umfangreicher Militäroperationen in Gaza-Stadt", sagte Armeesprecher Jonathan Conricus am Montag. "Die Zivilisten wären nicht sicher, wenn sie hierblieben." Nach eigenen Angaben wartet das Militär auf eine "politische Entscheidung" für den Beginn der Bodenoffensive. US-Präsident Joe Biden warnte Israel vor einer Besatzung des Gazastreifens. Dies wäre "ein großer Fehler", sagte er dem Sender CBS. Er unterstützte aber eine Invasion zur "Ausschaltung der Extremisten" von der Hamas.

Mit hastig zusammengerafften Sachen, auf Motorrädern, in Autos, Anhängern oder mit Esels-Karren fliehen seit Tagen hunderttausende Palästinenser aus dem Norden in den Süden des Küstenstreifens. In der ersten Woche des Kriegs zwischen Israel und der Hamas wurden nach Schätzungen der UNO rund eine Million Menschen im Gazastreifen vertrieben.

Die Abriegelung des Palästinensergebiets schürte international Befürchtungen einer humanitären Katastrophe. Der Nahe Osten stehe "am Rande des Abgrunds, warnte UN-Generalsekretät António Guterres am Sonntag. Dem Gazastreifen gingen "Wasser, Strom und andere lebenswichtige Güter aus".

Die am Grenzübergang zwischen Rafah im Süden des Gazastreifens und Ägypten eingetroffenen Hilfsgüter aus mehreren Ländern werden bislang nicht durchgelassen: Nach Angaben mehrerer ägyptischer Augenzeugen hatten die Hilfskonvois am Montag noch nicht die Stadt al-Arisch verlassen, die sich etwa 40 Kilometer östlich von Rafah befindet.  

Israel wies am Montag sowohl Berichte über eine Waffenruhe und humanitäre Hilfe zurück. Derzeit gebe es weder eine Feuerpause noch humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen im Austausch für die Ausreise von Ausländern, erklärte das Büro von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Montag. Hamas-Medienchef Issat al-Rischk bestätigte, dass "keinerlei Wahrheit" in den Medienberichten stecke.

Unterdessen bleibt auch die Lage im Norden Israels äußerst angespannt. Am Montag kündigte Israel die Evakuierung von Ortschaften in einem zwei Kilometer breiten Streifen an der Grenze zum Libanon an. Sie würden in staatlich finanzierten Unterkünften untergebracht, teilten Verteidigungsministerium und Armee mit. Im Süden Israels wurde die Stadt Sderot an der Grenze zum Gazastreifen evakuiert. 

Die pro-iranische Hisbollah-Miliz im Libanon hatte sich in den vergangenen Tagen zu mehreren Raketenangriffen auf Nordisrael bekannt, Israel hatte daraufhin Ziele im Südlibanon angegriffen.

Die USA warnten am Sonntag vor dem Entstehen einer zweiten Front zwischen Israel und dem Libanon. US-Außenminister Antony Blinken kehrte am Montag zu seinem zweiten Besuch innerhalb weniger Tage nach Israel zurück. Zuvor war er in mehrere arabische Länder gereist. Niemand dürfe Öl ins Feuer gießen, warnte Blinken am Sonntag. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will offenbar am Dienstag nach Israel reisen.

Wegen des Krieges reisten inzwischen zahlreiche deutsche Staatsbürger aus Israel aus. Nach der Lufthansa flog die Bundeswehr in insgesamt vier Flügen 222 Menschen aus, nach Angaben der Luftwaffe bei X landete zuletzt am Montag um 02.45 Uhr eine Maschine aus Tel Aviv im niedersächsischen Wunstorf.

oer/cp