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Türkisches Gericht verlängert Untersuchungshaft für Kulturförderer Kavala

Ankara drohen wegen des Falls Disziplinarmaßnahmen des Europarates

Ein Gericht in Istanbul hat am Freitag die Untersuchungshaft des seit fast vier Jahren inhaftierten Menschenrechtsaktivisten und Kulturförderers Osman Kavala erneut verlängert. An den Vorwürfen gegen ihn falle nicht nur auf, "dass sie auf keinerlei Beweisen beruhen", erklärte der 64-Jährige vor Gericht. Sie würden zudem auf "Verschwörungstheorien" basieren und die "Grenzen der Vernunft überschreiten". Die Türkei riskiert mit der Entscheidung Disziplinarmaßnahmen des Europarats.

Der Europarat, dessen Mitglied die Türkei ist, hatte vergangenen Monat gewarnt, Schritte gegen Ankara einzuleiten, sollte Kavala nicht vor dem nächsten Treffen der Organisation am 30. November freikommen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte im Dezember 2019 seine Freilassung angeordnet und seither wiederholt darauf gedrängt.

Das Gericht in Istanbul setzte eine neue Anhörung für den 26. November an. Bei der Verhandlung vor einem vollen Gerichtssaal waren Diplomaten aus den USA und acht europäischen Staaten zugegen. In dem Fall gibt es mittlerweile 52 Verdächtige, darunter eine Gruppe Fußballfans, die an Unruhen im Jahr 2013 beteiligt gewesen sein sollen.

Kavala war ursprünglich wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die regierungskritischen Gezi-Proteste in Istanbul im Jahr 2013 finanziert und organisiert zu haben. Im Februar des vergangenen Jahres sprach ein Gericht ihn von diesem Vorwurf frei. Kavala wurde daraufhin nach zweieinhalb Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, jedoch wenige Stunden später erneut festgenommen - diesmal im Zusammenhang mit dem Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan 2016 und Spionagevorwürfen.

Im Januar dieses Jahres hob ein Berufungsgericht den ersten Freispruch auf. Bei einer Verurteilung wegen der Spionagevorwürfe droht Kavala lebenslange Haft.

Der in Paris geborene Kavala betreibt einen der größten Verlage der Türkei und setzt sich mit seiner Organisation Anadolu Kültür für den Dialog der Volksgruppen etwa im Kurden-Konflikt oder mit den Armeniern ein. Er gehörte zudem zu den Gründern des türkischen Zweigs der Open Society Foundation des US-Philanthropen George Soros. Die Stiftung fördert demokratische Bewegungen in zahlreichen osteuropäischen Ländern. Soros, der ungarisch-jüdischer Abstammung ist, ist das Feindbild vieler Populisten.

by OZAN KOSE