Rufe nach einer sofortigen Absetzung des US-Präsidenten, Rücktritte mehrerer Minister und ein weiteres Todesopfer: Nach der Erstürmung des US-Kapitols wächst der Druck auf Donald Trump. Der abgewählte Präsident verurteilte am Donnerstag nach langem Zögern den Angriff seiner Anhänger auf den Kongresssitz. Zugleich sagte er eine ungestörte Machtübergabe an seinen Nachfolger Joe Biden zu. Die Demokraten wollen Trump aber noch vor dem Amtswechsel im Weißen Haus absetzen lassen.
Trump wird vorgeworfen, für den Gewaltexzess mitverantwortlich zu sein, nachdem er seine Anhänger bei einem Auftritt in Washington mit unbelegten Wahlbetrugs-Vorwürfen angestachelt und zum Marsch auf das Kapitol aufgerufen hatte. Am Donnerstag bemühte er sich, die Wogen der Empörung zu glätten. Trump kritisierte "die Gewalt, die Gesetzesbrüche und das Chaos". Die Randalierer hätten "den Sitz der amerikanischen Demokratie geschändet". Wer das Gesetz gebrochen habe, werde dafür "bezahlen".
Zugleich rief Trump das Land zur "Versöhnung" und "Heilung" auf. Seine rund zweieinhalbminütige Botschaft wurde über den Onlinedienst Twitter verbreitet. Twitter hatte Trumps Konto zuvor für 24 Stunden wegen seiner aufwiegelnden und irreführenden Aussagen über die Präsidentschaftswahl vom November gesperrt.
Am Mittwoch hatte es Trump noch unterlassen, den Sturm auf den Kongress explizit zu verurteilen. Er rief zwar die Randalierer auf, "nach Hause" zurückzukehren. Doch versicherte er ihnen zugleich: "Wir lieben euch."
In seiner neuen Videobotschaft bekräftigte Trump nun auch, dass er einen "reibungslosen, geordneten und nahtlosen" Übergang zu "der neuen Regierung" sicherstellen werde.
Bereits einige Stunden zuvor hatte Trump eine "geordnete" Amtsübergabe an den neugewählten Präsident Biden angekündigt, der am 20. Januar vereidigt werden soll. In seiner neuen Botschaft räumte er aber so explizit wie bislang nie ein, dass seine Präsidentschaft zu Ende geht. Die Ausübung des Präsidentenamtes sei die größte "Ehre meines Lebens" gewesen, sagte Trump.
Der Kongress hatte in der Nacht zum Donnerstag den Wahlsieg Bidens formell bestätigt. Zuvor hatten Repräsentantenhaus und Senat ihre Beratungen zu der Präsidentschaftswahl wegen der Ausschreitungen stundenlang unterbrechen müssen.
Trump-Unterstützer waren gewaltsam in das Kapitol eingedrungen. Sie zerschlugen Fenster und besetzten Räume. Die Parlamentarier mussten von der Polizei in Sicherheit gebracht werden. Eine Demonstrantin wurde im Kapitol von der Polizei erschossen, drei weitere Menschen kamen bei medizinischen Notfällen im Umfeld des Parlamentssitzes ums Leben.
Am Donnerstagabend erlag außerdem ein bei den Ausschreitungen verletzter Polizist seinen Verletzungen. Der Chef der Kapitol-Polizei, Steven Sund, zog die Konsequenzen aus dem fehlgeschlagenen Sicherheitskonzept vom Mittwoch. Er werde sein Amt in den nächsten Tagen aufgeben, verlautete aus Polizeikreisen.
Die Anführer von Bidens Demokraten im Kongress, Nancy Pelosi und Chuck Schumer, verlangten nach der Randale die vorzeitige Absetzung Trumps auf Grundlage des Zusatzartikels 25 der US-Verfassung. Dieser ermöglicht es, einen Präsidenten für amtsunfähig zu erklären.
Trump habe einen "bewaffneten Aufstand gegen Amerika" und einen "Umsturzversuch" angezettelt, begründete Pelosi, die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, ihre Forderung.
Nach Berichten mehrerer US-Sender berieten ranghohe Mitglieder der US-Regierung bereits am Mittwoch über eine Absetzung des Präsidenten auf Grundlage des Verfassungszusatzes. Vizepräsident Mike Pence und mehrere Kabinettsmitglieder lehnen dies laut "New York Times" jedoch ab, weil damit nach ihrer Ansicht das "derzeitige Chaos" in Washington eher vergrößert als eingedämmt würde.
Die Anwendung des Zusatzartikels 25 ist nicht möglich, wenn der Vizepräsident dies verweigert. Pelosi kündigte jedoch bereits an, werde der Verfassungszusatz nicht angewendet, dann werde der Kongress ein neues Amtsenthebungsverfahren gegen Trump einleiten.
In Trumps Regierung setzten sich die Absetzbewegungen derweil fort. Am Donnerstag erklärte Bildungsministerin Betsy DeVos ihren Rücktritt. Als Reaktion auf die Ausschreitungen waren zuvor bereits Verkehrsministerin Elaine Chao und weitere Regierungsvertreter zurückgetreten.
Das "Wall Street Journal" rief Trump in einem Leitartikel zum sofortigen Rücktritt auf. Der Präsident müsse persönlich die Verantwortung für die Erstürmung des Kapitols übernehmen. "Es wäre das beste für alle, ihn eingeschlossen, wenn er leise abtreten würde", erklärte die Wirtschaftszeitung im Besitz des konservativen Medientycoons Rupert Murdoch.
by Von Shaun TANDON und Chris LEFKOW