In einer von Gewalt und Chaos überschatteten Sitzung hat der US-Kongress den Sieg von Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl formell bestätigt. Der scheidende US-Präsident Donald Trump räumte am Donnerstag das Ende seiner Präsidentschaft ein und kündigte erstmals eine "geordnete" Amtsübergabe an Biden an. Weltweit sorgte die Erstürmung des Kapitols durch militante Trump-Unterstützer für Bestürzung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich "wütend" über die Unruhen und machte Trump dafür verantwortlich.
"Obwohl ich dem Ergebnis in jeder Hinsicht widerspreche und die Fakten mir Recht geben, wird es eine geordnete Übergabe am 20. Januar geben", erklärte Trump am Donnerstagmorgen. "Dies ist das Ende der besten ersten Präsidentschaftsamtszeit in der Geschichte und doch nur der Anfang unseres Kampfes, Amerika wieder großartig zu machen", fügte Trump mit Blick auf seine Wahlkampfparole 2016 hinzu.
Vorausgegangen waren dieser Kehrtwende des Präsidenten dramatische Ereignisse in Washington, die am Mittwoch in der Erstürmung des Kongresses durch wütende Trump-Anhänger gipfelten. Am Parlamentssitz spielten sich Szenen von Chaos und Gewalt ab. Die Randalierer überwanden die Sicherheitsbarrieren und schlugen Fenster ein, einige schafften es sogar in den Sitzungssaal des Senats. Sicherheitsbeamte zückten ihre Schusswaffen und setzten Tränengas ein.
Eine Frau wurde bei den Auseinandersetzungen im Kapitol durch einen Polizeischuss getötet. Bei ihr handelte es sich laut US-Medienberichten um eine glühende Trump-Anhängerin und Ex-Soldatin. Eine Frau und zwei Männer kamen nach Polizeiangaben bei "medizinischen Notfällen" im Umfeld des Kapitol-Gebäudes ums Leben.
Die Sitzung des Kongresses zur Bestätigung von Bidens Wahlsieg musste unterbrochen werden. Die Nationalgarde wurde mobilisiert, über die US-Hauptstadt wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. In einem mehrstündigen Einsatz räumten die Sicherheitskräfte das Kapitol.
Biden bezeichnete die Randale in einer Ansprache in seiner Heimatstadt Wilmington als "beispiellosen Angriff" auf die US-Demokratie. Dies sei "kein Protest, das ist Aufruhr", sagte der Demokrat, der am 20. Januar als Präsident vereidigt werden soll.
Trump, der seine Anhänger in Washington einige Stunden zuvor bei einer Rede mit Wahlbetrugs-Vorwürfen aufgepeitscht und zum Marsch auf das Kapitol aufgefordert hatte, vermied eine Verurteilung der Ausschreitungen. In einer Videobotschaft sagte er lediglich an die Adresse seiner Anhängerschaft, dass "Frieden" gebraucht werde und sie "nach Hause" zurückkehren sollten.
Zugleich sagte Trump seinen randalierenden Anhängern aber auch: "Wir lieben euch" - und er wiederholte seine völlig unbelegten Behauptungen, bei der Wahl am 3. November habe es massiven Betrug gegeben.
Am späten Mittwochabend (Ortszeit) wurde die Kongresssitzung schließlich fortgesetzt. Zwei Initiativen aus den Reihen der Republikaner gegen die formelle Bestätigung von Bidens Wahlsieg wurden von Senat und Repräsentantenhaus abgelehnt. US-Vizepräsident Mike Pence verkündete schließlich am Donnerstagmorgen, Biden sei mit den Stimmen von 306 Wahlleuten zu Trumps Nachfolger bestimmt worden.
Der Angriff auf das US-Parlament sorgte bis in den Reihen von Trumps Regierung für Entrüstung. "An jene, die heute Chaos und Verwüstung in unser Kapitol gebracht haben: Ihr habt nicht gewonnen", sagte Vizepräsident Pence im Kongress. Außenminister Mike Pompeo nannte es "unerträglich", bei Protesten Gewalt auszuüben. Schockiert äußerten sich auch drei Vorgänger Trumps im Weißen Haus, der Republikaner George W. Bush und die beiden Demokraten Barack Obama und Bill Clinton.
Hochrangige Mitglieder der scheidenden US-Regierung berieten laut übereinstimmenden Medienberichten sogar über eine mögliche Absetzung Trumps durch sein eigenes Kabinett. Nach Informationen der US-Sender CNN, CBS und ABC sollen sich diese Überlegungen auf einen Zusatzartikel zur US-Verfassung gestützt haben, der die Entmachtung des Präsidenten durch das Kabinett grundsätzlich erlaubt, wenn dieser "unfähig" ist, die Pflichten und Vollmachten seines Amtes auszuüben".
Auch international sorgte die Attacke auf das Zentrum der US-Demokratie für Bestürzung. Kanzlerin Merkel äußerte sich "wütend und auch traurig". Trump habe durch die Weigerung, seine Niederlage einzugestehen, die Atmosphäre für die Ausschreitungen bereitet, sagte Merkel.
Auch die Spitzen der Europäischen Union zeigten sich schockiert. "Dies ist ein beispielloser Angriff auf die US-Demokratie, ihre Institutionen und den Rechtsstaat", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Der britische Premierminister Boris Johnson sprach von "beschämenden Szenen" in Washington. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian verurteilte einen "ernsthaften Angriff auf die Demokratie".
Während die Tumulte Washington in Atem hielten, konnte Biden am Mittwoch einen weiteren Wahlerfolg feiern. US-Medien meldeten den Sieg der beiden demokratischen Kandidaten bei den Stichwahlen um zwei Senatssitze im Bundesstaat Georgia. Bidens Partei kontrolliert damit künftig beide Kongresskammern in Washington.
by Von Shaun TANDON