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Tausende versuchen nach Machtübernahme der Taliban aus Afghanistan zu flüchten

Biden will sich zur Lage äußern

Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban versuchen tausende Menschen, aus Afghanistan zu fliehen. Am Flughafen der Hauptstadt Kabul spielten sich am Montag chaotische Szenen ab, als tausende Menschen verzweifelt versuchten, einen Platz für einen Evakuierungsflug zu erwischen. Usbekistan und Tadschikistan berichteten von hunderten Soldaten, die in Militärmaschinen über die Grenze flüchteten. US-Präsident Joe Biden wollte sich noch am Abend (MESZ) zur Lage in Afghanistan äußern.

Die Taliban hatten am Sonntag nach einem zehntägigen Eroberungsfeldzug durch Afghanistan die Hauptstadt erreicht. Die afghanische Regierung gestand ihre Niederlage ein, Präsident Aschraf Ghani floh ins Ausland. Westliche Staaten wie die USA und Deutschland bemühen sich unter Hochdruck darum, ihr ziviles Personal aus Afghanistan auszufliegen.

Am Flughafen von Kabul drängten sich am Montag aber auch tausende Zivilisten, die aus Angst vor einer erneuten Schreckensherrschaft der Taliban das Land verlassen wollten. Videos zeigten, wie sich zahlreiche Afghanen an einen Transportflieger des US-Militärs klammerten. Medienberichten zufolge starben mehrere Menschen, als sie von dem Flugzeug überrollt wurden oder herunterfielen.

Die US-Regierung entsandte 6000 Soldaten zur Sicherung des Flughafens. US-Soldaten töteten zwei bewaffnete Männer in der Menge, die ihre Waffen "auf bedrohliche Weise geschwungen" hatten, wie ein Pentagon-Vertreter erklärte.

Starts und Landungen in Kabul wurden in der Folge vorübergehend ausgesetzt. Pentagon-Sprecher John Kirby sagte, US-Soldaten würden gemeinsam mit Soldaten aus der Türkei und anderen Staaten versuchen, das Gebiet "methodisch" zu räumen. Großbritannien stockte die Zahl seiner Soldaten, die bei den Evakuierungen helfen sollen, um 200 auf nunmehr 900 auf.

Wegen der chaotischen Lage auf dem Flughafen Kabul verzögert sich die Evakuierungsmission der deutschen Luftwaffe. Dem Einsatzführungskommando zufolge warteten zwei Flugzeuge der Bundeswehr am Montag vergeblich auf eine Landegenehmigung.

Laut der usbekischen Generalstaatsanwaltschaft wurden allein am Wochenende 46 afghanische Militärflugzeuge und -Hubschrauber mit 585 Soldaten an Bord auf der Flucht nach Usbekistan zur Landung in der Grenzprovinz Surchondarjo gezwungen. Dabei sei eines der Flugzeuge mit einer usbekischen Maschine zusammengestoßen und abgestürzt. Tadschikistan erlaubte am Montag drei Flugzeugen mit mehr als 100 afghanischen Militärvertretern die Landung am Flughafen von Bochtar.

In Kabul selbst war es am Montag vergleichsweise ruhig: Die Straßen waren weniger belebt als am Vortag, während die Islamisten Kontrollposten in der Stadt errichteten. Tausende Kämpfer sollen laut einem Taliban-Sprecher auf dem Weg nach Kabul sein, um dort für "Sicherheit" zu sorgen.

Mullah Abdul Ghani Baradar, einer der Taliban-Gründer, rief die Milizionäre in einem Online-Video zur Disziplin auf: "Jetzt ist es an der Zeit, zu beweisen, dass wir unserer Nation dienen und für Sicherheit und ein angenehmes Leben sorgen können."

Die schnelle Machtübernahme der Taliban löste in den westlichen Staaten Fassungslosigkeit aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich erschüttert: "Die Lage sei "furchtbar für die Millionen Afghanen, die sich für eine freie Gesellschaft eingesetzt haben", sagte sie am Abend.

UN-Generalsekretär António Guterres forderte die Weltgemeinschaft zur Einigkeit im Umgang mit der "terroristischen Bedrohung in Afghanistan" auf. Afghanistan dürfe "nie wieder als Plattform oder sicherer Hafen für Terrororganisationen benutzt" werden, sagte er bei einem Dringlichkeitstreffen des UN-Sicherheitsrats.

In Brüssel wurden für Dienstag Krisensitzungen der Nato-Botschafter und der EU-Außenminister einberufen, Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will in den kommenden Tagen einen virtuellen G7-Gipfel organisieren. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte, Afghanistan dürfe "nicht wieder zu dem Refugium für den Terrorismus werden, das es einmal war". Dafür müssten sich Russland, die USA und Europa gemeinsam einsetzen, forderte er. Macron kündigte zudem eine gemeinsame EU-Initiative mit Deutschland gegen die erwartete Flüchtlingskrise an.

China erklärte sich als erstes Land zu "freundlichen Beziehungen" mit den Taliban bereit. Die russische Regierung will eine Anerkennung der neuen Machthaber hingegen von deren "Verhalten" abhängig machen.

by Von David FOX