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Tausende Palästinenser fliehen vor drohender Bodenoffensive in den Süden des Gazastreifens

Nach dem Evakuierungsaufruf durch das israelische Militär sind am Samstag tausende Palästinenser vor einer erwarteten Bodenoffensive in den Süden des Gazastreifens geflohen - während Israels Regierungschef Benjamin warnte, dass die seit einer Woche andauernden Angriffe "erst der Anfang" seien. "Unsere Feinde haben gerade erst begonnen, den Preis zu bezahlen", sagte Netanjahu am Freitagabend in einer Fernsehansprache. Die Anordnung zur Evakuierung des Gazastreifen wurde international scharf kritisiert. 

"Ich kann nicht enthüllen, was passieren wird, aber ich kann sagen, dass das jetzt erst der Anfang ist", erklärte Netanjahu mit Blick auf die Angriffe weiter. Die israelische Armee erklärte, dass israelische Bodentruppen in den vergangenen 24 Stunden "örtlich begrenzte" Angriffe auf den Gazastreifen ausgeführt hätten, "um das Gebiet von Terroristen und Waffen zu säubern" und um "vermisste Menschen" zu finden. 

Die Armee gab zudem bekannt, in der Nacht zum Samstag eine Stellung der Hisbollah im Südlibanon beschossen zu haben, nachdem sie zuvor ein "nicht identifizierbares Flugobjekt" entdeckt hatte. Die vom Iran unterstützte und mit der Hamas verbündete Hisbollah, die im Nachbarland Libanon aktiv ist, hatte erklärt, sie sei "bereit, zum richtigen Zeitpunkt gegen Israel vorzugehen".  

Am Freitagmorgen hatte die israelische Armee rund 1,1 Millionen Zivilisten im Norden des Gazastreifens aufgefordert, das Gebiet Richtung Süden zu verlassen. Sie begründete diesen Aufruf mit geplanten Militäreinsätzen in den kommenden Tagen. 

"Wohin sollen wir gehen?", fragte Umm Hossam, eine der Tausenden Flüchtlinge, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. "Wie lange werden die Angriffe und der Tod dauern? Wir haben keine Häuser mehr, der gesamte Gazastreifen ist bedroht". 

Die UN-Sonderberichterstatterin für Binnenvertriebene, Paula Gaviria Betancur, erklärte am Freitag, sie sei "entsetzt" angesichts der israelischen Anordnung zur Flucht und bezeichnete sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. "Es ist unvorstellbar, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens ein aktives Kriegsgebiet durchqueren könnte, ohne dass dies verheerende humanitäre Folgen hätte - vor allem, wenn ihnen lebenswichtigen Güter und Dienstleistungen fehlen", sagte Betancur.

UN-Generalsekretär António Guterres forderte einen "sofortigen humanitären Zugang zum gesamten Gazastreifen, damit wir Treibstoff, Nahrungsmittel und Wasser zu jedem Menschen in Not bringen können." Er mahnte angesichts der Gewalteskalation die Einhaltung der Menschenrechte an. "Selbst Kriege haben Regeln", sagte er am Freitag vor einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York.  

US-Präsident Joe Biden erklärte die humanitäre Krise im Gazastreifen zu einer "Priorität": "Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass die überwältigende Mehrheit der Palästinenser nichts mit der Hamas und den schrecklichen Angriffen der Hamas zu tun hat, und dass auch sie darunter leiden", sagte Biden in einer Rede in Philadelphia. Gleichzeitig bekräftigte Biden die Unterstützung der USA für Israel.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte am Samstag, der Evakuierungsplan sei "absolut unmöglich umzusetzen". Eine Million Menschen binnen 24 Stunden in einer "Situation wie in Gaza" umzusiedeln führe unweigerlich zu einer "humanitären Krise", warnte er.

Das Außenministerium Saudi-Arabien erklärte am Freitag, es lehne "Israels Befehl zur Zwangsumsiedlung der palästinensischen Bevölkerung in Gazastreifen" kategorisch ab und verurteilte "die anhaltende Bombardierung wehrloser Zivilisten".

Seit einem Großangriff der Hamas auf Israel am vergangenen Samstag bombardiert die israelische Armee den Gazastreifen, der von der radikalen Palästinenserorganisation kontrolliert wird. An der Grenze zum Gazastreifen hat Israel inzwischen zehntausende Soldaten zusammengezogen.

Durch die israelische Angriffe auf den Gazastreifen wurden nach neuen palästinensischen Angaben vom Freitagabend mindestens 1900 Menschen getötet. Unter ihnen seien mehr als 600 Kinder, teilte das Gesundheitsministerium der Hamas-Regierung mit. Auf israelischer Seite wurden bislang nach offiziellen Angaben mehr als 1300 Menschen getötet, zudem verschleppte die Hamas etwa 150 Menschen als Geiseln.

Am Freitag erklärte die Hamas, dass 13 Geiseln, darunter auch Ausländer, bei israelischen Luftangriffen getötet worden seien.

Nach den Sonderflügen der Lufthansa am Donnerstag und Freitag sollen am Sonntag weitere in Israel gestrandete Deutsche ausgeflogen werden. Nach Angaben des Auswärtigen Amts sind zwei Condor-Sonderflüge aus der jordanischen Stadt Akaba an der Grenze zu Israel geplant.

kbh/bfi