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Tausende fordern nach Parlamentswahl in Georgien neue Abstimmung

Opposition will Sieg von Regierungspartei Georgischer Traum nicht anerkennen

Georgien droht nach der Parlamentswahl eine erneute politische Krise: Nachdem die Regierungspartei Georgischer Traum den Wahlsieg für sich beanspruchte, demonstrierten am Sonntag in der Hauptstadt Tiflis tausende Oppositionsanhänger für vorgezogene Neuwahlen. Sie folgten damit einem Aufruf von Oppositionsführer und Ex-Präsident Michail Saakaschwili, der der Regierungspartei "massive" Wahlfälschung vorwarf.

Die Regierungskritiker, von denen wegen der Corona-Pandemie viele Masken trugen, zogen vor das Parlament in Tiflis und schwenkten georgische Flaggen. "Wir werden den Georgischen Traum nicht unsere Stimmen stehlen lassen", sagte der 54-jährige Demonstrant Tornike Meladse.

"Alle Oppositionsparteien in Georgien sind geeint in der Entscheidung, nicht in das neue Parlament einzuziehen", kündigte Nika Melia von Saakaschwilis Partei Vereinigte Nationale Bewegung (UNM) vor den Demonstranten einen Boykott an. Die Opposition werde kämpfen, bis sie vorgezogene Neuwahlen durchsetze, fügte der Politiker hinzu und kündigte weitere Proteste für kommenden Sonntag an.

Die meisten oppositionellen Parteien hatten sich unter Führung der Partei des im ukrainischen Exil lebenden Saakaschwili für die Parlamentswahl zusammengeschlossen. Ihr Ziel war es, die seit 2012 regierende Partei des Milliardärs Bidsina Iwanischwili abzulösen.

Georgischer Traum ist angesichts wirtschaftlicher Probleme und Korruptionsvorwürfe zunehmend unbeliebt. Nach Angaben der Wahlkommission errang sie nach Auszählung fast aller Wahlkreise aber 48 Prozent der Stimmen, die Oppositionsparteien kamen demnach auf 45,6 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 56 Prozent höher als bei der Parlamentswahl 2016.

Am Samstagabend reklamierten sowohl die Regierungspartei als auch die Opposition den Sieg für sich. Ministerpräsident Giorgie Gacharia nannte die Wahl auf Twitter einen "weiteren wichtigen Meilenstein bei Georgiens demokratischer Entwicklung".

Unabhängige örtliche Wahlbeobachter berichteten allerdings von zahlreichen Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung. Den internationalen Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Nato zufolge wurden bei der Wahl "insgesamt die Grundfreiheiten respektiert". Allerdings sei die Abstimmung "alles andere als fehlerfrei" abgelaufen. So seien zahlreiche Vorwürfe geäußert worden, wonach Druck auf Wähler ausgeübt wurde.

Heimische Wahlbeobachter sprachen gar von Fällen von mehrfacher Stimmabgabe und gefälschten Stimmzetteln in Wahlurnen. Die unabhängige Organisation Ifsed erklärte, in manchen Wahlkreisen habe die Zahl der offiziell angegebenen Stimmen für das Regierungslager die Gesamtzahl der tatsächlich abgegebenen Stimmzettel übertroffen.

In dem Kaukasus-Land mit seinen vier Millionen Einwohnern lösten Wahlen in der Vergangenheit immer wieder heftige Proteste aus. Nur einmal - 2012 - gelang ein geordneter Machtwechsel.

Georgien ist eines der pluralistischsten Länder der Ex-Sowjetunion. Allerdings wächst die Sorge, dass die Demokratie bröckeln könnte. Die Wahl am Samstag bedeute "einen Rückschlag für die Demokratie in Georgien", erklärte der georgische Ableger von Transparency International.

Saakaschwili und Iwanischwili, der reichste Mann des Landes, dominieren seit Jahrzehnten die Politik Georgiens. Kritiker werfen Iwanischwili vor, die Korruption im Land zu begünstigen und Oppositionelle unter Druck zu setzen.

Saakaschwili, der von 2004 bis 2013 Präsident war, flüchtete 2013 aus der Kaukasus-Republik, um einer möglichen Gefängnisstrafe wegen Machtmissbrauchs zu entgehen. Ein Wahlsieg der Opposition könnte seine Rückkehr ermöglichen.

Da Georgien ein sehr komplexes Wahlsystem hat, könnte die genaue Zusammensetzung des neuen Parlaments erst Ende November feststehen. Der Analyst Gela Wasadse prophezeite der Partei Georgischer Traum "eine extrem wackelige Mehrheit im neuen Parlament".

by Von Irakli METREVELI