88796:

Taliban rücken auf afghanische Hauptstadt vor

Islamisten nehmen Provinzhauptstadt Ghasni 150 Kilometer vor Kabul ein

Bei ihrem Vormarsch in Afghanistan rücken die radikalislamischen Taliban immer näher an die Hauptstadt Kabul heran: Die Islamisten eroberten nun die Provinzhauptstadt Ghasni nur 150 Kilometer vor Kabul, wie das Innenministerium am Donnerstag mitteilte. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) kündigte an, im Falle einer kompletten Eroberung Afghanistans durch die Taliban würden die deutschen Finanzhilfen für das Land gestoppt.

Die Regierungstruppen haben mittlerweile die Kontrolle über den größten Teil des Nordens und Westens von Afghanistan verloren. Ghasni südlich von Kabul ist bereits die zehnte Provinzhauptstadt, die binnen einer Woche an die Islamisten fiel. Die Regierung in Kabul kontrolliert neben Kabul lediglich noch eine Handvoll Gebiete und vielerorts belagerte Städte.

Angesichts dieser Entwicklung boten Unterhändler der Regierung den Vertretern der Taliban am Donnerstag bei Verhandlungen in Doha an, die Macht zu teilen und dafür die Kämpfe zu beenden, wie es aus afghanischen Regierungskreisen hieß. Der Friedensprozess, der im September in der Hauptstadt Katars angestoßen worden war, geht jedoch bereits seit Monaten nicht mehr voran.

Die strategisch wichtige Provinzhauptstadt Ghasni liegt an einer zentralen Verbindungsstraße zwischen Kabul und Kandahar. Die afghanischen Streitkräfte sind zunehmend von Verstärkung über den Landweg abgeschnitten. Mit dem Verlust von Ghasni dürfte der Druck auf die ohnehin überlastete Luftwaffe wachsen.

Aus den Städten Laschkar Gah und Kandahar im Süden des Landes, wo die Taliban traditionell stark sind, wurden am Donnerstag weiterhin Kämpfe gemeldet, ebenso wie aus Herat im Westen. Im Norden hatten die Taliban ohnehin schon eine ganze Reihe von Provinzhauptstädten erobert, darunter die früheren Bundeswehrstandort Kundus und Faisabad.

Die Taliban brüsteten sich in Onlinemedien mit erbeutetem Kriegsgerät: Gepanzerte Fahrzeuge, schwere Waffen und sogar eine Drohne, die den Kämpfern auf einem verlassenen Stützpunkt in die Hände gefallen war.

Das Auswärtige Amt forderte alle Deutschen "dringend" auf, das Land zu verlassen. In einer verschärften Ausreiseaufforderung vom Donnerstag hieß es, angesichts der Sicherheitslage sollten Deutsche Linienflüge nutzen, um Afghanistan "bald" zu verlassen.

Außenminister Maas kündigte im ZDF an, im Falle einer Eroberung des Landes die deutschen Hilfszahlungen von 430 Millionen Euro pro Jahr einstellen zu wollen. "Wir werden keinen Cent mehr nach Afghanistan geben, wenn die Taliban komplett übernommen haben, die Scharia einführen und dieses Land ein Kalifat wird", erklärte der Minister. Afghanistan sei "ohne internationale Hilfe nicht lebensfähig".

Die Taliban hatten bereits Ende Juli eine Delegation nach China geschickt. Peking erklärte nach Angaben der Taliban, es wolle "helfen, Probleme zu lösen und Frieden zu bringen". Afghanistan verfügt über lukrative Bodenschätze, die für China interessant sind, die Sicherheitslage war aber bisher nie stabil genug, um einen Abbau zu ermöglichen.

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nannte die Geländegewinne der Taliban "sehr, sehr bitter" - "gerade mit Blick auch auf unseren Einsatz in den vergangenen 20 Jahren". Es sei nicht gelungen, "aus Afghanistan ein anderes Land zu machen, es nachhaltig positiv zu wenden", sagte sie im Deutschlandfunk.

Hunderttausende sind in Afghanistan bereits vor den Kämpfen geflohen. In Kabul ist in den vergangenen Tagen eine große Zahl an Vertriebenen eingetroffen, die nun zum Teil in Parks und auf öffentlichen Plätzen campieren. Die Hilfsorganisation Caritas international forderte, die humanitäre Hilfe müsse trotz der Gebietsgewinne der Taliban weitergehen und verstärkt werden. Nicht nur die Sicherheitslage sei für die Menschen ein Problem, sondern auch Hunger und die Corona-Pandemie.

by Von David FOX