Gebannt wie nie zuvor blickt die Welt auf den Kampf um das Weiße Haus: Nach einer beispiellosen ersten Amtszeit können die US-Wähler am Dienstag Donald Trump erneut zu ihrem Präsidenten machen - oder für seinen in Umfragen führenden Herausforderer Joe Biden stimmen. Die ersten Wahllokale öffneten um 6.00 Uhr (Ortszeit), eine Rekordzahl von knapp hundert Millionen Wahlberechtigten gab ihre Stimme jedoch bereits vor dem offiziellen Wahltermin ab.
Selten war eine US-Wahl so umkämpft: Bis zuletzt schürte Amtsinhaber Trump Angst vor Unruhen und warnte vor angeblichem Wahlbetrug - vor allem durch die vielen Briefwahlstimmen. Durch diese drohten "zügelloser und unkontrollierter Betrug" und "Gewalt in den Straßen", schrieb er noch am Montag in den Online-Netzwerken Facebook und Twitter. Am Wahltag sagte er dem Sender Fox News, er fühle sich "sehr gut" bezüglich seiner Siegchancen. "Ich glaube, wir werden den Sieg erringen."
Sein Herausforderer von den oppositionellen Demokraten gab sich trotz der Führung in Umfragen bei einer Kundgebung im Schlüsselstaat Pennsylvania am Montag nur vorsichtig optimistisch: "Ich habe das Gefühl, dass wir morgen für einen großen Sieg zusammenkommen werden." Es sei an der Zeit, "unsere Demokratie zurückzuerobern", sagte Biden vor seinen Anhängern.
Beide Kandidaten waren auch noch am Wahltag in den Bundesstaaten unterwegs und kämpften um die noch unentschlossenen Wähler: Biden trat nochmals in Pennsylvania auf, Trump wollte Virginia besuchen.
Obwohl Biden bis zuletzt in landesweiten Umfragen deutlich vor Trump lag, zeigten sich die Demokraten über den gesamten Wahlkampf hinweg zurückhaltend: Weil die Präsidentschaftswahl auf Ebene der Bundesstaaten abgehalten wird, sind solche Zahlen nur bedingt aussagekräftig. In besonders wichtigen und womöglich wahlentscheidenden Bundesstaaten wie Florida und Pennsylvania zeichnen sich enge Rennen ab.
Mit Sorge denken die Demokraten an das Jahr 2016 zurück: Damals sahen die Demoskopen Trump klar hinter seiner demokratischen Rivalin Hillary Clinton. Am Ende zog Trump mit einem Sensationssieg ins Weiße Haus ein.
Traditionsgemäß läutete das winzige Dorf Dixville Notch im Nordosten der USA die Präsidentschaftswahl ein. Kurz nach Mitternacht gaben die nur fünf wahlberechtigten Einwohner ihre Stimmen dort im Wahllokal ab. Ausgezählt wurde sofort: Alle fünf Stimmen entfielen auf Biden, Amtsinhaber Trump ging leer aus.
Auf die landesweiten Wahlergebnisse muss länger gewartet werden: Sie werden erst am Mittwoch in den Stunden nach Mitternacht (MEZ) erwartet. Unklar ist, ob die US-Fernsehsender schon in der Wahlnacht einen Gesamtsieger ausrufen werden. Wegen der vielen Briefwahlstimmen dürfte die Auszählung länger dauern. Bei dieser Präsidentschaftswahl droht sogar ein tage- oder sogar wochenlanger Wahlkrimi, der auch die Gerichte beschäftigten könnte.
Die bereits vor dem Wahltag abgegebenen Stimmen entsprechen nach Angaben des US Elections Project der Universität von Florida mehr als 70 Prozent aller insgesamt bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen. Angetrieben wurde das Early Voting durch die Corona-Pandemie: Viele Wähler wollen die potenziell vollen Wahllokale am eigentlichen Wahltag aus Angst vor Ansteckungen meiden.
Da Trump seit Monaten besonders die Briefwahl als extrem betrugsanfällig anprangert, befürchten viele seiner Kritiker, dass er seine mögliche Niederlage nicht anerkennen könnte - und nach der Wahl eine harte Auseinandersetzung um deren Ergebnis folgen könnte.
Der Wahlkampf stand stark unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Mit mehr als 230.000 Toten haben die USA die höchste Opferzahl weltweit zu beklagen. Biden kritisierte Trumps Krisenmanagement immer wieder scharf, während Trump die Öffnung des Landes trotz weiterhin hoher Infektionszahlen vorantreiben wollte.
In den USA sind mehr als 200 Millionen Menschen stimmberechtigt. Jedoch kann nicht automatisch jeder Bürger wählen - zuvor müssen sich die Menschen als Wähler registrieren lassen. Daher liegt die Zahl der registrierten Wähler unter der der Stimmberechtigten. 2016 lag die Wahlbeteiligung bei 55,7 Prozent, diesmal wird eine höhere Beteiligung erwartet.
by Von Sebastian Smith