Anlässlich des 30. Jahrestages des ausländerfeindlichen Anschlags von Solingen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einer Verharmlosung rechtsextremer Strukturen gewarnt. "Viel zu lange saß unser Land der durch nichts gestützten, aber ständig wiederholten Behauptung auf, es seien verblendete Einzeltäter, die ihr Unwesen treiben", sagte Steinmeier laut vorab verbreiteten Redetext bei der Gedenkveranstaltung am Montag in Solingen.
"Die Strukturen dahinter und die Ideologie der Täterinnen und Täter wurden lange übersehen, ignoriert, teils auch verdrängt", ergänzte Steinmeier in der nordrhein-westfälischen Stadt. "Ich nenne das: Terror. Dieser rechte Terror ist verantwortlich für die Toten hier in Solingen. Diesen rechten Terror gab es vor Solingen, und es gibt ihn nach Solingen. Es gibt eine Kontinuität von rechtsextremer und rassistischer Gewalt in unserem Land."
Am 29. Mai 1993 hatten vier Rechtsextremisten in Solingen das Haus einer türkischen Familie in Brand gesetzt. Bei dem nächtlichen fremdenfeindlichen Angriff starben fünf türkische Mädchen und Frauen. Solingen markierte den Höhepunkt einer ganzen Serie fremdenfeindlicher Verbrechen in der ersten Hälfte der 90er Jahre in der Bundesrepublik. An der Gedenkveranstaltung am Montag nehmen auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und weitere Politiker teil. Auch Hinterbliebene der Opfer sind dabei.
Steinmeier mahnte an die besondere Verantwortung des Staates und seiner Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit. "Jeder Mensch muss in unserem gemeinsamen Land in Sicherheit und Frieden leben können, und der Staat muss besonders diejenigen schützen, die ein höheres Risiko haben, Opfer von Gewalt zu werden. Dafür muss er alles, ja, dafür muss er noch mehr tun", sagte er.
Es mache ihn deshalb "fassungslos", wenn sich "einzelne Angehörige von Sicherheitsbehörden" in rechten Chatgruppen organisierten, fügte der Bundespräsident in seiner Rede an. "Das können und dürfen wir nicht dulden."
Zugleich erinnerte er an die Verantwortung von Politik und Gesellschaft, etwa beim Sprachgebrauch. "Mit Worten kann man das Gewaltpotenzial einer Gesellschaft aktivieren. Und wir haben allzu oft erlebt, dass Worte zu Taten wurden. Wenn Politiker glauben, verbal um den rechten Rand buhlen zu müssen, wenn auch Politiker die Grenzen zwischen dem Unsagbaren und dem Unsäglichen verschieben, dann befeuern sie damit auch die Gewalt".
Mit Blick auf die Gesamtgesellschaft verwies Steinmeier auf "Vorurteile und Diskriminierungen im Alltag". Diesen gebe es etwa bei der Jobsuche, bei der Wohnungssuche oder bei der Fahrkartenkontrolle. Darüber hinaus wünsche sich "Mitmenschen, die an einer Bushaltestelle eingreifen, wenn ein Mädchen rassistisch beschimpft und attackiert wird" und "die widersprechen, wenn Lügen, Hass und Hetze am Arbeitsplatz oder in sozialen Netzwerken, im Hausflur oder am Stammtisch verbreitet werden". Es brauche mehr "Mut", sagte der Bundespräsident.
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