Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich in die Debatte um die anhaltend hohen Migrationszahlen eingeschaltet. "Die sogenannte illegale Migration müssen wir eindämmen", sagte er in einem am Vorabend des Tags der deutschen Einheit ausgestrahlten Interview mit den ARD-"Tagesthemen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) setzt große Hoffnungen auf eine europäische Lösung, der Migrationsexperte Gerald Knaus ist da jedoch skeptisch. CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte deutsche Seenotretter im Mittelmeer.
Steinmeier sprach sich für die Prüfung von Asylgesuchen von Menschen, die keine oder kaum eine Chance auf Asyl haben, bereits an den EU-Außengrenzen aus. Sollten abgelehnte Asylbewerber bereits dort abgeschoben werden, würden sich "auch die Ankunftszahlen in Deutschland verringern", sagte er.
Die Überlastung in zahlreichen Kommunen im Umgang mit Asylsuchenden erinnere ihn an die Zeit zwischen 1992 und 1993, sagte der Bundespräsident weiter. Es habe damals "Überlastungssignale" von Bürgermeistern und Oberbürgermeistern gegeben, die dazu geführt hätten, "dass die Politik handelt". Diese Erwartung hätten Menschen auch derzeit.
1993 verständigten sich angesichts der Zuwanderung von jährlich hunderttausenden Asylsuchenden nach Deutschland die damalige Bundesregierung aus Unionsparteien und FDP sowie die oppositionelle SPD auf den sogenannten Asyl-Kompromiss, in dessen Folge das Grundrecht auf Asyl erheblich eingeschränkt wurde. Steinmeier gestand jedoch, es gebe nicht den einen Hebel, mit dem das Problem morgen verschwinde.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnt die Debatte um eine Obergrenze bei der Migration ab. CDU und CSU hätten Forderungen "außerhalb der Vernunft" gestellt wie Migrationsobergrenzen oder ein Ende der Genfer Flüchtlingskonvention oder des politischen Asylrechts, sagte er im Sender ntv. "Das ist alles Quatsch." Er setze stattdessen große Hoffnungen auf eine europäische Lösung.
Heil verwies auf Maßnahmen wie die angekündigten temporären stationären Grenzkontrollen zu Bekämpfung von Schleuserkriminalität an den Grenzen zu Polen und Tschechien oder beschleunigte Rückführungen abgelehnter Asylbewerber. "Aber die eigentliche Antwort ist eine europäische." Der EU-Asyl-Kompromiss biete "ein historisches Fenster für ein gemeinsames europäisches System", sagte Heil.
Der Migrationsexperte Gerald Knaus kritisierte hingegen sowohl Maßnahmen wie die Einführung von Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen als auch die derzeitigen EU-Gespräche. Binnengrenzkontrollen würden die Zahl ankommender Migranten nicht senken, "denn sie bleiben ja in der EU", sagte Knaus der Düsseldorfer "Rheinischen Post". "Wir brauchen eine andere Politik, die dazu führt, dass grundsätzlich weniger Menschen irregulär in die EU kommen."
Die angedachte Reform des EU-Asylsystems löse die Probleme allerdings nicht. "Fortschritte in der Politik der EU sehe ich nirgends", sagte er der "RP". Es gebe keine Strategie um die irreguläre Migration im Mittelmeer zu begrenzen und zugleich keine Durchsetzung von EU-Recht, weshalb ein Großteil der Asylantragsteller nach Deutschland und Österreich komme.
CDU-Chef Friedrich Merz verteidigte derweil seine scharfe Rhetorik in der Migrationsdebatte. Seine viel kritisierten Äußerungen über Zahnbehandlungen für abgelehnte Asylbewerber zulasten der heimischen Bevölkerung seien lediglich ein "konkretes Beispiel" gewesen, um "die Überlastung unseres Systems" deutlich zu machen, sagte er dem "Handelsblatt".
Merz kritisierte hingegen die Bundesregierung wegen der finanziellen Unterstützung für private Seenotrettungs-Organisationen im Mittelmeer. Mehrere Rettungsschiffe von deutschen NGOs seien unter deutscher Flagge auf dem Mittelmeer unterwegs, um Flüchtlinge aufzunehmen und auf Lampedusa aussteigen zu lassen. Er könne den Ärger der Italiens darüber verstehen.
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