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Sozialverbände fordern mehr Rücksicht auf Menschen mit Behinderung in der Pandemie

Studie zeigt großes Ausmaß der Einsamkeit auf

Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen haben Sozialverbände mehr Beachtung für die Betroffenen in der Corona-Krise verlangt. Durch die Pandemie würden Ungleichheiten und strukturelle Benachteiligungen noch sichtbarer, erklärte die Arbeiterwohlfahrt (Awo) am Donnerstag. Einer aktuellen Studie zufolge haben Menschen mit Behinderung viel häufiger mit Einsamkeit zu kämpfen als andere.

Bereits vor der Pandemie seien Menschen mit Behinderung "meilenweit" von einem gleichberechtigten Zugang zu Bildungs-, Gesundheits- und Teilhabeleistungen entfernt gewesen, erklärte die Awo. In der Pandemie würden aber zum Beispiel die Bedürfnisse von gehörlosen Menschen bei der Umsetzung der Maskenpflicht nicht berücksichtigt. Und bei Plexiglaswänden an Supermarktkassen oder Arzttresen würden die besonderen Belange von Rollstuhlnutzern und blinden Menschen nicht mitgedacht.

Vielen Kindern mit Behinderungen werde die Teilhabe an Bildung verwehrt, kritisierte die Awo weiter. Vielfach erhielten zudem die betroffenen Familien keine Hilfe beim Home Schooling. "Auch in Krisenzeiten müssen die Belange von Menschen mit Behinderungen von allen Entscheidungsträgern berücksichtigt werden", erklärte Awo-Vorstandsmitglied Brigitte Döcker.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte im NDR, gerade die Arbeitsplätze für Behinderte müssten während der Corona-Pandemie unbedingt erhalten bleiben. Hier sei der Staat gefordert. "Auch vor Einsamkeit müssen Menschen mit Behinderung dringend geschützt werden", forderte die VdK-Präsidentin. Auf keinen Fall dürfe es wieder Besuchsverbote in Pflegeheimen geben wie im ersten Lockdown.

Im Teilhabebericht des Paritätischen Gesamtverbands hieß es, knapp 39 Prozent der Menschen mit Behinderung klagten über Einsamkeit. Ihre Zahl sei "erschreckend hoch". Von den Menschen ohne Beeinträchtigung gaben demnach nur 15,8 Prozent an, oft oder eher oft einsam zu sein. Menschen mit Behinderung seien auch weiterhin überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen.

Die Daten für die Untersuchung wurden bereits vor der Corona-Pandemie erhoben. Die Pandemie dürfte das Problem aber noch einmal verschärft haben. "Corona geht für Menschen mit Behinderung noch mehr als für andere mit neuen Hürden und vielfach sozialer Isolation und Einsamkeit einher", erklärte der Verbandsvorsitzende Rolf Rosenbrock.

Die Pandemie habe zudem einen "Rückfall in überwunden geglaubte Handlungs- und Rollenmuster" mit sich gebracht, kritisierte Rosenbrock. "Das Selbstbestimmungsrecht von Menschen in Einrichtungen wurde früh und weitgehend eingeschränkt."

Aus der Erhebung geht zudem hervor, dass Frauen und Männer mit Beeinträchtigungen deutlich häufiger alleine in einem Haushalt leben - bei Frauen beträgt der Anteil 21,7 Prozent, bei Männern 29,2 Prozent. Der Wert liegt damit deutlich höher als bei Menschen ohne Beeinträchtigungen (14,8 Prozent und 20,9 Prozent). Dies erhöhe das Risiko der Vereinsamung.

Als "alarmierend" wertete der Paritätische die Armutsrate bei Menschen mit Behinderung. Mit 32,4 Prozent seien Männer mit Beeinträchtigungen mehr als doppelt so häufig von Armut betroffen wie Männer ohne Beeinträchtigungen (14,6 Prozent). Sie leben ebenfalls häufiger als Frauen mit Beeinträchtigungen (28,1 Prozent) in Armut.

Für die Erhebung werteten die Experten des Paritätischen die Daten aus dem Sozioökonomischen Panel aus. Die Zahlen stammen aus dem Bericht des Jahres 2018.

by THOMAS KIENZLE