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Sorge um Risikogruppen nach Aufhebung der Impfpriorisierung

Impfstoff noch knapp - Hausärzte warnen vor zu hohen Erwartungen

Die Impfpriorisierung ist gefallen, in Deutschland können sich seit Montag alle Bürger ab zwölf Jahren um einen Corona-Impftermin bemühen. Neben Vorfreude auf einen unbeschwerteren Sommer gibt es allerdings auch Befürchtungen - vor allem weil noch nicht genügend Impfstoff für alle da ist. Der Sozialverband VdK und die Deutsche Stiftung Patientenschutz sorgen sich um noch ungeimpfte Risikogruppen, Kommunen und Hausärzte warnen dagegen vor zu hohen Erwartungen an sofortige Impftermine.

VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärte, dass den Verband noch immer Anfragen von Mitgliedern erreichten, die schon längst eine Impfeinladung erhalten haben sollten, "aber trotz großer Mühe keinen Termin kriegen". Oft seien dies alte, vorerkrankte oder behinderte Menschen. "Die Schlussfolgerung 'Wer am findigsten und schnellsten bei der Terminvereinbarung ist, erhält eine Impfung' darf nicht sein", forderte Bentele. Stattdessen sollten Risikogruppen bevorzugt behandelt werden.

Ähnlich äußerte sich Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. "Die vom Bundesgesundheitsminister angekündigten 80 Millionen Impfdosen des zweiten Quartals werden reine Illusion bleiben. Daher haben zig Millionen Kranke und Menschen in gefährdeten Berufsgruppen immer noch kein Impfangebot erhalten", sagte er der "Rheinischen Post". Das fördere Impfneid und Streit.

Da nicht sofort genügend Impfstoff zur Verfügung stehe, seien Enttäuschung und Frust programmiert, sagte Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, der Zeitung. Da mit der Impfung neben dem Schutz der Gesundheit auch viele Freiheiten wie etwa Reisen ohne Test oder auch Zugang zu Veranstaltungen verbunden seien, "werden sehr viele Menschen schnell einen Impftermin bekommen wollen".

Dennoch sei die Aufhebung der Priorisierung richtig gewesen, urteilte Landsberg, nicht zuletzt im Hinblick auf die mit der Vergabe von Impfterminen verbundene Bürokratie.

Ulrich Weigelt, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands, forderte in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, dass sich die Ankündigungen der Politik künftig stärker an der tatsächlichen Umsetzbarkeit der Impfkampagne orientieren sollten und weniger am beginnenden Bundestagswahlkampf.

Der Impfstoff sei "noch immer zu knapp für die hohe Nachfrage und wird auch weiterhin zu unzuverlässig geliefert", sagte Weigelt. Mit der Aufhebung der Priorisierung und der Ankündigung der Kinder- und Jugendimpfungen werde die Nachfrage noch zunehmen. "Aber das Setting wird das Gleiche bleiben: Wir impfen, so viel wir eben können."

Neben Haus- und Fachärzten sollen jetzt auch die Betriebsärzte impfen. Auch der Verband der Deutschen Betriebs- und Werksärzte (VDBW) verwies aber auf die geringe Menge an Impfstoffen. "Wir sind zunächst mal froh, dass es jetzt endlich losgeht, weil die Nachfrage aus den Betrieben ist groß", sagte VDBW-Präsident Wolfgang Panter im Bayerischen Rundfunk. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Impfdosen sei indes "überschaubar klein".

Dennoch sei es sinnvoll, dass die Betriebsärzte jetzt mitimpften. Panter empfahl, dabei "nach einer Gefährdungsbeurteilung vorzugehen - das heißt, wo die Risiken größer sind, dort zu beginnen."

Laut Bundesgesundheitsministerium stehen in dieser Woche rund 6,7 Millionen Impfdosen zur Verfügung, von denen 3,4 Millionen Dosen in die Praxen gehen sollen, 2,6 Millionen in die Impfzentren und 700.000 zu den Betriebsärzten. Dabei ist nicht überall die Reihenfolge komplett aufgehoben: Einige Bundesländer halten für die Impfzentren noch daran fest.

Inzwischen sind 45,7 Prozent der Deutschen mindestens einmal geimpft. 21,3 Prozent erhielten den vollen Impfschutz. Ziel der Bundesregierung ist es, allen Menschen ab zwölf Jahren bis Ende August Gelegenheit für mindestens die erste Impfung zu geben.

by Tobias Schwarz