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Siebte Provinzhauptstadt innerhalb weniger Tage von Taliban erobert

Zehntausende fliehen innerhalb Afghanistans vor Extremisten - Treffen in Doha

Die radikalislamischen Taliban haben bei ihrem Vormarsch in Afghanistan innerhalb weniger Tage die siebte Provinzhauptstadt erobert. Am Dienstag fiel die Stadt Farah in der gleichnamigen Provinz im Westen des Landes in die Hände der Islamisten. Nach "kurzen Kämpfen" seien die Taliban in die Stadt eingezogen, erklärte ein Provinzabgeordneter und bestätigte Berichte der Extremisten. Derweil flohen zehntausende Menschen aus den umkämpften Gebieten nach Kabul oder in andere Städte.

"Sie haben den Gouverneurssitz und das Polizeipräsidium übernommen. Die Sicherheitskräfte haben sich in Richtung eines Armee-Stützpunkts zurückgezogen", sagte Schala Abubar, Mitglied im Provinzrat von Farah, der Nachrichtenagentur AFP.

Die radikalislamischen Taliban hatten in den Tagen davor bereits sechs der 34 afghanischen Provinzhauptstädte erobert - fünf davon im Norden des Landes. Seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen im Mai hat die Miliz weite Teile des Landes eingenommen. Ihr größter militärischer Erfolg war die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Kundus, die lange Zeit Bundeswehrstandort war.

Um drei weitere Provinzhauptstädte im Norden wurde heftig gekämpft. In der Nacht zum Dienstag gab es Gefechte am Stadtrand von Masar-i-Scharif, Pol-i-Chomri und Faisabad, die Taliban wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums aber zurückgeschlagen.

Sollten die Taliban die wirtschaftlich bedeutsame Stadt Masar-i-Scharif einnehmen, wäre dies ein harter Schlag für die Regierung. Damit würde Kabul die Kontrolle über den Norden des Landes endgültig verlieren, der als Bollwerk gegen die Taliban gilt. In Masar-i-Scharif war zuletzt das größte Feldlager der Bundeswehr.

Regierungstruppen kämpften auch in den südlichen Provinzen Kandahar und Helmand, die als Hochburgen der Extremisten gelten.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen teilte am Dienstag mit, dass allein in diesem Jahr mehr als 359.000 Menschen durch die Kämpfe vertrieben worden seien. Die EU-Kommission warnte am Dienstag davor, dass eine halbe Million Afghanen in den Nachbarländern Zuflucht suchen könnte. Das könnte sich auch allgemein auf die Migrationsbewegungen auswirken.

Binnenflüchtlinge berichteten vom brutalen Umgang der Islamisten mit der Bevölkerung. "Die Taliban prügeln und plündern", erzählte Rahima, die nach der Flucht aus der Provinz Scheberghan gemeinsam mit hunderten weiteren Flüchtlingen in einem Park von Kabul campierte. "Wenn es in einer Familie ein junges Mädchen oder eine Witwe gibt, nehmen sie sie mit Gewalt."

Die Taliban hatten während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 eine strenge Auslegung des islamischen Rechts in Afghanistan eingeführt. Mädchen waren von Bildung, Frauen vom Arbeitsleben ausgeschlossen. Straftaten wurden mit öffentlichen Auspeitschungen oder Hinrichtungen geahndet.

In der katarischen Hauptstadt Doha berieten am Dienstag Vertreter von Katar, aus den USA, aus China, Großbritannien, Usbekistan, Pakistan, der UNO und der EU über die Lage in Afghanistan. Regierungsvertreter aus Kabul wurden ebenfalls erwartet. Am Mittwoch sollen die Gespräche fortgesetzt werden. Der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad wolle sich zudem diese Woche mit den Taliban treffen, teilte das US-Außenministerium am Montag mit.

Der Friedensprozess für Afghanistan war im September in Katar angestoßen worden. Die Gespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban sind jedoch ins Stocken geraten.

Trotz des Vormarsches der Taliban drängen sechs EU-Länder, darunter Deutschland, die EU zu einer Fortsetzung der Abschiebungen nach Afghanistan. In einem gemeinsamen Brief forderten Deutschland, Österreich, Belgien, die Niederlande, Dänemark und Griechenland, die "zwangsweise Rückführung bestimmter Afghanen weiterhin zu garantieren", wie der belgische Minister für Asyl und Migration, Sammy Mahdi, am Dienstag auf Twitter schrieb.

"Im Jahr 2021 waren von 1200 Rückführungen nach Afghanistan 1000 freiwillig und 200 erzwungen", reagierte ein EU-Vertreter. In Anbetracht der Zahlen sollten die Mitgliedstaaten keine Zwangsrückführungen vornehmen.

by Von Usman SHARIFI