Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kommt erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs nach Deutschland. Sein Besuch wird für Sonntag erwartet, wie die Nachrichtenagentur AFP am Samstag aus Regierungskreisen in Berlin erfuhr. Kurz vor Bekanntwerden der Reise kündigte das Bundesverteidigungsministerium ein milliardenschweres Rüstungspaket für Kiew an. Ukrainische Regierungsvertreter lobten den Schritt.
Details zum Besuch von Selenskyj am Sonntag wurden zunächst nicht bekannt. Am Samstag hielt er sich in Italien auf. Selenskyj und das ukrainische Volk werden am Sonntag mit dem Aachener Karlspreis ausgezeichnet. Ob der Präsident aus diesem Anlass nach Aachen reist, blieb bis zuletzt offen. "Wir planen weiter zweigleisig - mit ukrainischer Präsenz vor Ort oder im Videocall", sagte der Vorsitzende des Karlspreisdirektoriums, Jürgen Linden, dem "Tagesspiegel".
Vor anderthalb Wochen hatte die Berliner Polizei nach einem entsprechenden Zeitungsbericht bestätigt, dass sie sich auf einen Besuch Selenskyjs in Berlin an diesem Wochenende vorbereite. Weil in dem Zeitungsartikel vertrauliche Details der Einsatzplanung wiedergegeben wurden, leitete die Polizei inzwischen Ermittlungen wegen des Verdachts des Geheimnisverrats ein.
Die Bundesregierung verkündete am Samstag ein umfangreiches Rüstungspaket für Kiew. Laut Verteidigungsministerium bekommt die Ukraine unter anderem 30 Panzer vom Typ Leopard 1 A5 und 20 vom Typ Marder. Das Paket umfasst außerdem vier weitere Iris-T-Flugabwehrsysteme, 18 Radhaubitzen, mehr als 100 gepanzerte Gefechtsfahrzeuge und mehr als 200 Aufklärungsdrohnen. Auch Artilleriemunition und Lenkflugkörper für die von Deutschland zur Verfügung gestellten Luftverteidigungssysteme werden zugesagt.
"All dies und mehr kommt aus Industriebeständen beziehungsweise der Industrieproduktion", also nicht aus Beständen der Bundeswehr, teilte das Ministerium weiter mit. "Die Umsetzung dieser von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen ist eingeleitet." Einen Zeitrahmen für die Lieferungen nannte das Ministerium nicht. Laut "Wir" handelt es sich um das bisher größte deutsche Waffenpaket für die Ukraine seit Kriegsbeginn.
"Mit diesem wertvollen Beitrag an dringend benötigtem militärischen Material zeigen wir einmal mehr, dass es Deutschland mit seiner Unterstützung ernst ist", erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Deutschland werde "jede Hilfe leisten, die es leisten kann - as long as it takes".
Aus der Ukraine kamen positive Reaktionen. "Was mir an diesem Paket wirklich gefällt, ist, dass Deutschland die Führung übernimmt", sagte Präsidentenberater Mychailo Podoljak der "Welt am Sonntag" laut Vorabmeldung vom Samstag. Die Entscheidung zeige, "dass Deutschland den Moment der Geschichte versteht, dass die richtigen Entscheidungen jetzt gefällt werden müssen."
Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko sagte der Zeitung, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) "demonstriert mit diesem historischen Paket, dass die militärische Unterstützung fortgesetzt wird, solange es notwendig ist". Nun könne jeder sehen, wie entschlossen Deutschland wirklich an der Seite der Ukraine stehe.
Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, nannte die Entscheidung für das Paket einen "Sprung nach vorn". Es sei jedoch zu bedauern, dass keine Marschflugkörper vom Typ Taurus geliefert würden, die feindliche Ziele im russischen Hinterland unschädlich machen könnten. Die Bundesregierung müsse "massiv und schnell" nachlegen, sagte der heutige ukrainische Vize-Außenminister der "Welt am Sonntag".
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