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Selenskyj erhält Sicherheitszusagen statt Nato-Einladung

Sicherheitszusagen statt einer Einladung zum Nato-Beitritt: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reist mit deutlich weniger vom Nato-Gipfel in Litauen ab, als er sich erhofft hatte. Dennoch nannte er einen in der litauischen Hauptstadt Vilnius vereinbarten Sicherheitspakt mit der Gruppe sieben großer Industrieländer (G7) am Mittwoch einen "Sieg". Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem wichtigen Fortschritt für die langfristige Sicherheit der Ukraine.

Unmittelbar nach dem Nato-Gipfel unterzeichneten die USA, Deutschland und die anderen G7-Länder in Vilnius eine Erklärung, die "langfristige Sicherheitszusagen" der einzelnen Staaten für die Ukraine vorsieht. Damit soll Russland von einem neuen Angriff abgeschreckt werden. US-Präsident Joe Biden betonte, die großen Industrieländer wollten Kiew beim Aufbau einer "starken und fähigen Verteidigung an Land, in der Luft und zur See" unterstützen.

Scholz sagte, es gehe um "eine längerfristige Strategie, auf die sich die Ukraine dann auch verlassen kann". Dies sei ein "wichtiger weiterer Fortschritt, über den wir uns sehr freuen, weil daran so lange gearbeitet worden ist".

Eigentlich hatte sich Selenskyj bei dem Nato-Gipfel eine Beitrittseinladung für die Ukraine erhofft. Sie hätte im Fall einer Aufnahme in die Nato viel stärkere Sicherheitsgarantien gebracht, vor allem durch die militärische Beistandsklausel nach Artikel fünf des Nordatlantik-Vertrags. Danach müssen alle Nato-Staaten ein angegriffenes Land unterstützen.

Auf Druck von Biden und Scholz knüpfte die Nato eine Beitrittseinladung aber an Bedingungen wie einen Friedensschluss sowie eine Modernisierung des Militärs und den Kampf gegen die Korruption. Die USA und Deutschland fürchten, dass die Allianz bei einer raschen Aufnahme der Ukraine in den Krieg mit Russland hineingezogen wird.

Deshalb setzt Selenskyj nun auf einen Nato-Beitritt "nach dem Krieg" gegen die russischen Invasionstruppen, wie er in Vilnius sagte. Er deutete zugleich Verständnis für Berlin und Washington an. "Niemand will einen Weltkrieg", betonte er. 

Am Vortag hatte er noch scharfe Kritik an der Nato geübt. Er nannte es "absurd", dass sich das Bündnis noch nicht einmal auf einen Zeitplan für eine Mitgliedschaft der Ukraine verständigen könne. Diese "Schwäche" nütze allein Russland.

Die jetzigen Zusagen der G7-Länder begrüßte Selenskyj jedoch als "die erste rechtsverbindliche Zusicherung eines Sicherheitsschirms" für die Ukraine - die Sicherheit der Ukraine hänge damit nicht mehr von persönlichen Beziehungen zu einzelnen Staats- und Regierungschefs ab. Kiew fürchtet bei einem möglichen Wahlsieg der oppositionellen Republikaner in den USA im kommenden Jahr deutlich geringere Unterstützung als durch Biden und seine Demokratische Partei.

Die Bundesregierung hatte vor dem Nato-Gipfel in Vilnius für die Ukraine ein neues Unterstützungspaket im Umfang von 700 Millionen Euro geschnürt. Zudem verwies der Kanzler auf die "sehr hohe Zahl" ukrainischer Soldaten, die Deutschland ausbildet. 

Bei dem Gipfeltreffen in Vilnius kam Selenskyj mit den 31 Staats- und Regierungschefs der Allianz zu einem neuen Nato-Ukraine-Rat zusammen. Das Gremium soll Diskussionen auf "Augenhöhe" ermöglichen, wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte.

Biden wollte zum Abschluss seines Litauen-Besuchs am Abend eine Rede in der Universität von Vilnius halten. Am Donnerstag wird Biden in Finnland erwartet. Das Land war der Nato im Frühjahr beigetreten und nahm erstmals an einem Gipfel der Allianz teil.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besuchte nach dem Gipfel gemeinsam mit seinem litauischen Kollegen die deutschen Patriot-Flugabwehrraketen-Kräfte am Flughafen Vilnius. Sie hatten den Nato-Gipfel mit abgesichert.

lob/dja