20048:

Selenskyj als Gast bei Nato-Gipfel in Litauen erwartet

Nach dem Durchbruch im Streit um den Nato-Beitritt Schwedens beginnt am Dienstag der zweitägige Gipfel der Nato-Länder in Litauen. Die Staats- und Regierungschefs beraten in der Hauptstadt Vilnius über eine engere Zusammenarbeit mit der Ukraine, deren Präsident Wolodymyr Selenskyj als Gast erwartet wird. Am Montagabend hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen monatelangen Widerstand gegen eine Nato-Mitgliedschaft Schwedens aufgegeben.

Für die von Selenskyj geforderte Beitrittseinladung an die Ukraine gibt es bisher keinen Konsens im Militärbündnis. Die USA und die Bundesregierung halten dies für verfrüht, solange der Krieg anhält. Als Zeichen der Annäherung soll ein neuer Nato-Ukraine-Rat ins Leben gerufen werden, der mit Selenskyj zum ersten Mal tagen soll. Zudem werden weitere militärische und Sicherheitszusagen von Nato-Ländern erwartet.

Selenskyj forderte am Vorabend des Nato-Gipfels ein "klares Signal" des Bündnisses zu den Aussichten seines Landes auf eine Mitgliedschaft. Die Ukraine verdiene es, in der Allianz zu sein, sagte Selenskyj am Montagabend in einer im Onlinedienst Telegram veröffentlichten Videobotschaft. "Nicht jetzt, denn jetzt herrscht Krieg, aber wir brauchen ein klares Signal, und dieses Signal wird jetzt gebraucht", sagte Selenskyj.

Buchstäblich in letzter Minute vor dem Nato-Gipfel hatte Erdogan den Weg für den schwedischen Nato-Beitritt frei gemacht. "Schweden wird Vollmitglied der Allianz", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach elfstündigen Vermittlungsgesprächen mit Erdogan und dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson in Vilnius. Stoltenberg sprach von einem "historischen Tag".

Konkret sagte Erdogan einer von der Nato veröffentlichten Erklärung zufolge zu, das Beitrittsprotokoll für Schweden an die türkische Nationalversammlung zu übermitteln und "eng mit ihr zusammenarbeiten, um die Ratifizierung sicherzustellen". Die Entscheidung des Parlaments in Ankara soll nach Stoltenbergs Worten "so bald wie möglich erfolgen". Das Nato-Land Ungarn hatte die schwedische Beitrittsakte wegen der ausstehenden türkischen Entscheidung ebenfalls nicht ratifiziert, will dies nach Angaben des Nato-Generalsekretärs aber nun nachholen.

Kristersson zeigte sich "sehr glücklich" und sprach von einem "guten Tag für Schweden".

US-Präsident Joe Biden, der ebenfalls an dem Nato-Gipfel teilnimmt, erklärte, er freue sich, "Schweden als unseren 32. Nato-Verbündeten zu begrüßen". Zugleich dankte er Generalsekretär Stoltenberg für seine "standhafte Führung".

"Gute Nachrichten aus Vilnius: Der Weg für die Ratifizierung von Schwedens Nato-Mitgliedschaft durch die Türkei ist endlich frei", schrieb Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Schweden schloss im Gegenzug mit der Türkei einen "Sicherheitspakt" und sagte regelmäßige Treffen und einen "anhaltenden Kampf gegen den Terrorismus" zu. Zudem werde Schweden die Bemühungen zur Wiederbelebung der EU-Beitrittsgespräche "aktiv unterstützen", einschließlich einer Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei und Visaregelungen, hieß es in der Erklärung weiter.

Erdogan hatte der Regierung in Stockholm vorgeworfen, zu wenig gegen Extremisten von der Arbeiterpartei Kurdistans PKK zu tun. Stoltenberg will darüber hinaus bei der Militärallianz erstmals einen Sonderbeauftragten zum Kampf gegen den Terrorismus einsetzen.

Kurz vor dem Nato-Gipfel hatte Erdogan die Partner mit einer völlig neuen Forderung überrascht: "Öffnet erst den Weg für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, und dann öffnen wir den Weg für Schweden", sagte Erdogan vor seiner Abreise nach Litauen.

Daraufhin starteten die Nato und die EU in Vilnius eine konzertierte Vermittlungsinitiative. Nach Stoltenberg und Kristersson kam auch EU-Ratspräsident Charles Michel mit Erdogan zusammen. Michel versprach danach auf Twitter, die Europäische Union und die Türkei wollten ihre Beziehungen "wieder in Schwung bringen".

Die Verhandlungen der Türkei mit der EU liegen auf Eis, seit Erdogan nach einem gescheiterten Militärputsch gegen ihn Regierungskritiker unterdrücken ließ. Die EU-Staaten müssten eine Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche einstimmig beschließen. Unter anderem wegen der Spannungen der Türkei mit den Mitgliedsländern Griechenland und Zypern gilt dies allerdings als schwierig.

ck/mhe