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Seehofer sieht Auftrieb für rechte Szene durch die Corona-Pandemie

Neuer Verfassungsschutzbericht widmet sich erstmals intensiv der "Neuen Rechten"

Die rechte Szene in Deutschland hat nach Einschätzung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) durch die Corona-Pandemie zusätzlichen Auftrieb bekommen. Rechtsextremisten hätten versucht, "über die Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen Anschluss an das bürgerliche Spektrum zu gewinnen", sagte Seehofer am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2020 in Berlin. Auch die Gefahren des Linksextremismus sowie des Islamismus schätzte er als hoch ein.

Die Rechtsextremen hätten Seite an Seite mit bürgerlichen Demonstranten protestiert "und dem Protestgeschehen leider zu oft ihren Stempel aufdrücken können", beklagte Seehofer. "Besonders besorgt muss uns machen, dass sich die bürgerlichen Demonstranten nicht klar von den rechtsextremistischen abgegrenzt haben."

So habe die Corona-Pandemie zur Verstärkung der rechten Szene beigetragen, sagte Seehofer. "Wir müssen nicht nur von einer besonderen Gesundheitslage reden, sondern auch von einer besonderen Sicherheitslage." Die Bedrohungslage habe während der Pandemie zugenommen.

Auch der Anstieg der "Reichsbürger und Selbstverwalter" um fünf Prozent sei auf die Proteste rund um die Pandemie zurückzuführen. Die Corona-Schutzmaßnahmen würden von diesen Gruppierungen aktiv für die Verbreitung ihrer Verschwörungserzählungen genutzt. Zudem wiesen viele Reichsbürger nach wie vor eine hohe Waffenaffinität auf.

Die Zahl der Rechtsextremen ist auf etwa 33.300 gestiegen, von denen 13.300 potenziell gewaltorientiert sind. Erstmals widmete sich der Verfassungsschutzbericht in einem Unterkapitel der sogenannten Neuen Rechten. Diese versuche "fortwährend, durch einen pseudointellektuellen Anstrich ihr rechtsextremistisches Gedankengut in den öffentlichen Diskurs einzubringen", sagte der Bundesinnenminister. Dabei wolle sie auch die Grenzen dessen zu verschieben, was öffentlich gesagt werden könne.

Nach Seehofers Einschätzung stellen Rechtsextremismus ans Antisemitismus nach wie vor die größten Bedrohungen für die Sicherheitslage in Deutschland. 90 Prozent aller antisemitischen Straftaten gehen nach seinen Worten auf das Konto von Rechtsextremisten.

"Der Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für unsere offene und vielfältige Gesellschaft", erklärte auch Bundesjustiz- und Familienministerin Christine Lambrecht (SPD). "Es ist unerträglich, dass Rassisten und Antisemiten jeden Tag Mitmenschen in unserem Land angreifen."

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland zeigte sich alarmiert. "Der neue Verfassungsschutzbericht zeigt in erschreckendem Maße, dass die Bedrohung des jüdischen Lebens in Deutschland weiter gewachsen ist", erklärte sein Präsident Josef Schuster. Die Strafverfolgungsbehörden seien hier gefordert.

Als besorgniserregend bezeichnete Seehofer auch die Entwicklung beim Linksextremismus. Die Gewalttaten in diesem Bereich hätten um 34 Prozent zugenommen. Die Szene agiere zunehmend gewalttätig und enthemmt. Er verwies dabei auf "Kleingruppen", die heimlich und planvoll ihre Taten begingen. Auch beim Islamismus bestehe nach wie vor eine "sehr ernst zu nehmende Bedrohungslage". Er verwies dabei auch auf die Anschläge im benachbarten Frankreich.

Nach Darstellung von Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sind die extremistische Aktivitäten während der Corona-Pandemie keineswegs zum Erliegen gekommen. "Extremisten und Terroristen gehen nicht in den Lockdown", sagte der Behördenleiter. Sie hätten nach einer "kurzen Phase der Verunsicherung" zu Beginn des vergangenen Jahres ihre Aktivitäten ins Internet verlagert.

2020 wurden dem Verfassungsschutzbericht zufolge 44.692 politisch motivierte Straftaten registriert. Das ist der höchste Stand seit Einführung der Statistik. Propagandadelikte stellen den Großteil der registrierten Straftaten, sind gegenüber 2019 aber leicht rückläufig. Dagegen nahm die politisch motivierte Gewaltkriminalität von 2832 auf 3365 Straftaten deutlich zu.

by John MACDOUGALL