Die AfD hat auf dem Bundesparteitag in Kalkar ihren Richtungsstreit auf offener Bühne ausgetragen. Der Sonntag stand im Zeichen eines erbitterten Schlagabtauschs zwischen Anhängern und Gegnern von Parteichef Jörg Meuthen. Er hatte in einer Rede rechte Provokateure in der AfD kritisiert und ihnen den Austritt nahegelegt. Die Delegierten beschlossen zudem das erste Rentenkonzept der Partei und regelten die Nachfolge für Andreas Kalbitz im Bundesvorstand.
Fast zwei Stunden lang stritten die Delegierten am Sonntag über den Auftritt Meuthens vom Vortag. Der AfD-Chef hatte in seiner Rede einen Frontalangriff in Richtung des rechten Lagers der Partei gestartet. Er kritisierte eine zunehmend radikale Wortwahl, warnte vor NS-Vergleichen in der Corona-Debatte und der Nähe zu so genannten Querdenkern.
"Wer gerne weiter Revolution oder Politik-Kasperle spielen will, kann und sollte das dann woanders tun, aber bitte nicht in der AfD", sagte Meuthen. Die Rede wurde gleichermaßen mit stürmischem Beifall wie mit Buh-Rufen quittiert.
Es sei nicht klug, von einer Corona-Diktatur zu sprechen, sagte Meuthen auch in Richtung von Fraktionschef Alexander Gauland, der den Begriff im Bundestag benutzt hatte. "Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag wohl kaum so abhalten." Die AfD werde nicht mehr Erfolg erzielen, wenn sie "immer derber, immer aggressiver, immer enthemmter" auftrete, sagte Meuthen. So verliere sie stattdessen viele Wähler.
Gauland nannte den Auftritt am Rande des Parteitags "spalterisch". In der Debatte dazu am Sonntag kamen mehr als 20 Redner zu Wort. Ein Teil von ihnen nahm Meuthen demonstrativ in Schutz, der andere Teil warf ihm parteischädigendes Verhalten vor.
AfD-Bundesvize Stephan Brandner kritisierte die Rede als "Torpedo". Meuthen habe damit der AfD "schweren Schaden" zugefügt. Er sei auf einem "Irrweg", den er bereits im Frühjahr "mit der Spaltungsdebatte eingeleitet" habe, so Brandner. Der thüringische Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl warf Meuthen "Arroganz" vor und sagte: "Ihre Zeit in der AfD ist vorbei".
Hamburgs Landesvorsitzender Alexander Wolf stellte sich hinter Meuthens Forderung nach mehr Disziplin. Der AfD-Chef habe eine "wichtige Grundsatzrede gehalten". Auch der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen unterstützte Meuthen. Er verwies auf die jüngste Forsa-Umfrage, in der die AfD nur noch auf sieben Prozent kam.
Die Debatte erfolgte im Zusammenhang mit einem Antrag des Kreisvorstands Freiburg, hinter dem der ultrarechte AfD-Kommunalpolitiker Dubravko Mandic stand. Er zielte darauf, "das spalterische Gebaren" Meuthens zu missbilligen und ihn für den "Absturz in der Wählergunst" verantwortlich zu machen.
Der Antrag kam letztlich nicht zur Abstimmung. Er war lange vor dem Parteitag ins Antragsbuch aufgenommen worden und zielte auf den Rauswurf von Kalbitz, der auf Betreiben Meuthens erfolgt war.
In der Debatte am Sonntag relativierte Meuthen seine Äußerungen zu so genannten Querdenkern. Er habe nicht die gesamte Bewegung gemeint, sondern Distanz zu "nicht seriösen Personen" gefordert. Zudem habe er nicht "zu irgendeiner Form von Spaltung aufgerufen", sondern eine "neue Einheit in Disziplin" angemahnt.
Die Nachfolge von Kalbitz als Beisitzerin im Bundesvorstand trat die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar an. Sie gilt ebenso wie der neue Schatzmeister Carsten Hütter als gemäßigt.
Der Parteitag beschloss das erste Renten- und Sozialkonzept der AfD. Es sieht das Festhalten an der umlagefinanzierten Rente vor, wobei Familien bei den Beiträgen entlastet werden sollen. Die AfD will einen flexiblen Renteneintritt, zudem soll der Großteil der Staatsbediensteten gesetzlich rentenversichert werden.
Die strengen Hygieneauflagen für den Parteitag, darunter Maskenpflicht auch an den Sitzplätzen, wurden an beiden Tagen weitgehend eingehalten.
by INA FASSBENDER