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Rufe nach unabhängiger Untersuchung in Russland zum Giftanschlag auf Nawalny

Nato verlangt auch Offenlegung des russischen Nowitschok-Programms

Nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wächst der Druck auf Moskau, eine unabhängige internationale Untersuchung zuzulassen. Die Nato sowie mehr als hundert EU-Abgeordnete forderten am Freitag ein solches Vorgehen. Die Nato verlangte nach einer Sondersitzung außerdem, dass Russland sein Programm zum Nervengift Nowitschok gegenüber der Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OVCW) "vollständig offenlegen" müsse. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte Aufklärung, er sprach von einer "schweren Belastung für die Glaubwürdigkeit" Moskaus.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte eine "unparteiische" Untersuchung der Vergiftung Nawalnys. Die 30 Nato-Mitglieder hätten den "entsetzlichen Mordanschlag" auf Nawalny "auf das Schärfste verurteilt". Berlin habe die Verbündeten über die Ergebnisse der Untersuchungen in Deutschland informiert, die ergeben hatten, dass Nawalny einem Nervengift der Nowitschok-Gruppe ausgesetzt war. Das Gift war in den 1970er Jahren durch sowjetische Wissenschaftler entwickelt worden.

Moskau weist jegliche Schuld im Fall Nawalny von sich. Die Ärzte in dem sibirischen Krankenhaus, in dem Nawalny anfangs behandelt worden war, bevor er in die Klinik Charité nach Berlin verlegt wurde, fanden nach eigenen Angaben sowie nach Angaben des Kremls kein Gift im Körper des bekannten Kritikers von Präsident Wladimir Putin. Behauptungen des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, der Westen habe den Giftanschlag nur vorgetäuscht, wies Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin als "selbstverständlich unwahr" zurück.

Der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hob zudem hervor, dass die Klärung und Konsequenzen aus dem Fall auf internationaler Ebene behandelt werden müssten, es sei kein bilaterales Problem zwischen Berlin und Moskau. Es gehe um einen "schweren Verstoß gegen den Einsatz von Chemiewaffen". Darüber müsse mit den EU- und Nato-Partnern gesprochen werden.

Über mögliche Sanktionen gegen Russland wollte Nato-Generalsekretär Stoltenberg vorerst nicht spekulieren. Die Konsultationen zwischen den Verbündeten und auch mit anderen Organisationen gingen weiter, sagte er. Der Einsatz von Nervenkampfstoffen sei "eine eklatante Verletzung des internationalen Rechts". Deshalb brauche es auch "eine internationale Antwort".

125 EU-Abgeordnete forderten eine internationale Untersuchung unter Beteiligung der Vereinten Nationen und des Europarats. Sie seien "äußerst skeptisch, dass die russischen Behörden in der Lage und willens sind, den wahren Hintergrund dieses Verbrechens zu untersuchen", schrieben die Parlamentarier an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Die EU hatte Russland bereits am Donnerstag mit Sanktionen gedroht und ebenfalls eine internationale Untersuchung gefordert.

Bundespräsident Steinmeier ging mit der russischen Seite scharf ins Gericht. "Dass Oppositionelle und kritische Stimmen in Russland in Serie um ihre Gesundheit oder ihr Leben fürchten müssen, ist ohne Zweifel eine schwere Belastung für die Glaubwürdigkeit der russischen Führung und erschwert die Zusammenarbeit," sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auch er forderte Aufklärung von Moskau und betonte, es sei an Nawalny ein Verbrechen verübt worden, "dessen Verantwortliche nur in Russland zu finden sein werden".

In Russland versuchten Ärzte im sibirischen Omsk, wo Nawalny zuerst im Krankenhaus lag, die Vergiftungsvorwürfe erneut zu entkräften. Der Toxikologe Alexander Sabajew führte Nawalnys Gesundheitszustand auf Diäten, Stress oder Müdigkeit zurück. Möglich seien auch "Fälle von übermäßigem Alkoholkonsum, von denen wir nichts wissen", sagte Sabajew. Er bekräftigte erneut, dass in Omsk kein Gift in Nawalnys Körper gefunden worden sei.

Bei der Berliner Justiz ging derweil ein Rechtshilfeersuchen der russischen Justiz zu dem Fall ein. Details dazu nannten die Berliner Justizbehörden nicht.

In Deutschland wurde unterdessen weiter über einen Stopp der Arbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als mögliche Sanktion gegen Russland debattiert. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sprach sich jedoch dagegen aus. Die Gas-Pipeline sei wichtig für die Energieversorgung Deutschlands wie ganz Europas, sagte er dem "Handelsblatt".

by Odd ANDERSEN