Angesichts weiterhin hoher Corona-Infektionszahlen rechnet das Robert-Koch-Institut (RKI) mit vielen zusätzlichen Todesfällen - und appelliert an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger. "Bitte lassen Sie uns alle unsere Kontakte reduzieren", sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Donnerstag in Berlin. Auch Vertreter von Bundes- und Landesregierungen mahnten zur Einhaltung der geltenden Schutzmaßnahmen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält eine baldige Verschärfung der Vorschriften für nötig.
Wieler sagte, in einigen Regionen stießen die Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenze. Außerdem steige "die Zahl der schweren Verläufe und der Todesfälle von Woche zu Woche". Im weiteren Verlauf sei "mit vielen weiteren" Toten zu rechnen. Besorgniserregend sei besonders die Lage in Alten- und Pflegeheimen.
Das RKI meldete am Morgen 22.046 Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland und damit ähnlich viele wie vor einer Woche. Die Zahl der neu registrierten Corona-Toten blieb mit 479 nur knapp unter dem am Dienstag gemeldeten bisherigen Höchstwert von 487.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) äußerte sich alarmiert wegen der hohen Totenzahlen und mahnte ebenfalls zu strikten Schutzmaßnahmen. Diese verursachten zwar wirtschaftliche Schäden, damit lasse sich jedoch leichter umgehen als mit "tausenden von Todesfällen, die man hätte vermeiden können".
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warnte davor, in der Hoffnung auf Impfstoffe Schutzmaßnahmen zu vernachlässigen. Wenn das Virus zumindest kontrolliert werden solle, "dann brauchen wir wieder Zahlen wie von vor einem halben Jahr", sagte er den Sendern RTL und n-tv.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am Mittwochabend mit den Ministerpräsidenten der Länder darauf verständigt, die geltenden Einschränkungen zunächst bis zum 10. Januar zu verlängern. Allerdings gibt es erneut abweichende Voten aus einigen Ländern. So will Mecklenburg-Vorpommern erst Mitte Dezember über eine Verlängerung entscheiden.
Bayerns Ministerpräsident Söder nimmt bereits Verschärfungen in den Blick. Er sei dafür, "dass wir nochmal nachdenken, auch vor Weihnachten konsequenter zu werden und uns zu überlegen, wie wir die Infektionszahlen deutlich senken können", sagte er RTL und n-tv.
In der Bevölkerung wachse gerade das Bewusstsein dafür, dass "konsequentere Maßnahmen und schnellere Maßnahmen" besser seien als eine Endlosverlängerung, führte Söder aus. "Und wenn wir dann bis zum 10. Januar verlängern, ohne was zusätzlich zu machen, dann kann uns passieren, dass wir auf demselben Level sind oder sogar nach den Ferien wieder auf einem höheren, und fangen wieder von vorne an."
Ähnlich äußerte sich der Virologe Alexander Kekulé. Maßnahmen gegen das Virus wirkten am stärksten, wenn sie gerade beschlossen würden, sagte er in einem MDR-Podcast. Danach sei "dieser Böller verpufft".
Bund und Länder hätten statt einer reinen Verlängerung des Bestehenden zwei Möglichkeiten gehabt, sagte Kekulé: "Entweder hätte man gesagt: 'Okay, wir sind auf dem richtigen Weg.' Dann hätte ich mal alles so laufen lassen, vielleicht bis kurz nach Silvester. Oder man hätte gesagt, wir müssen dringend nachjustieren."
Aus dem Bundestag kam erneut Kritik an mangelnder Einbeziehung des Parlaments. Linke-Gesundheitsexperte Achim Kessler wandte sich gegen einen Bund-Länder-Beschluss "nach Gutsherrenart". Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) forderte in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland, künftig auch die Bundestagsfraktionschefs an den Bund-Länder-Runden zu beteiligen, um das Parlament stärker einzubeziehen.
by Tobias Schwarz