In Israel rückt eine Regierung ohne den langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu näher: Der nationalistische Hardliner Naftali Bennett kündigte am Sonntagabend an, er werde sich einer möglichen Koalition zur Ablösung Netanjahus anschließen. "Ich werde alles tun, um eine Regierung der nationalen Einheit mit meinem Freund Jair Lapid zu bilden", sagte Bennett. Netanjahu bezeichnete die von Oppositionsführer Lapid angestrebte "Regierung des Wandels" als Gefahr für die Sicherheit Israels.
Er wolle in diesem "Moment der Wahrheit" Verantwortung übernehmen, sagte Bennett in einer im Fernsehen übertragenen Rede. "Jair und ich haben unsere Differenzen, aber wir teilen die Liebe zu diesem Land", fügte der Chef der religiös-nationalistischen Partei Jamina hinzu.
Netanjahu trat wenige Minuten später vor die Kameras und warnte vor der geplanten Koalition seiner Widersacher. "Diese Regierung wird eine Gefahr für die Sicherheit des Staates Israel sein", sagte der amtierende Regierungschef. Lapids liberale Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) und Bennetts Jamina kündigten an, noch am Sonntagabend Verhandlungen zu beginnen, um ihre Zusammenarbeit zu besiegeln.
Der 57-jährige ehemalige TV-Journalist Lapid hatte Bennett eine Partnerschaft mit rotierenden Ministerpräsidenten unter Einschluss mehrerer Parteien angeboten. In diesem von der israelischen Presse als Block für den Wandel bezeichneten Bündnis soll der 49-jährige Bennett Berichten zufolge zunächst für zwei Jahre den Posten des Regierungschefs übernehmen, bevor Lapid ihn dann für zwei weitere Jahre ablöst.
Lapids liberale Partei war bei der Wahl im März, der vierten innerhalb von zwei Jahren, zweitstärkste Kraft geworden. Netanjahus Likud-Partei war mit 30 von 120 Parlamentssitzen stärkste Kraft geworden, verfehlte die absolute Mehrheit von 61 Sitzen aber deutlich.
Netanjahu, der wegen Korruption vor Gericht steht, erhielt den Auftrag zur Regierungsbildung. Zunächst versuchte er, ein Bündnis mit Bennetts religiös-nationalistischer Partei Jamina und der weit rechts stehenden Partei Religiöser Zionismus zu schmieden. Um auf die für eine Mehrheit nötigen 61 Sitze zu kommen, wollte er zusätzlich die konservative islamische Raam-Partei ins Boot holen. Die Partei Religiöser Zionismus schloss eine Zusammenarbeit mit Raam aber kategorisch aus.
Kurz vor Ablauf der Frist zur Regierungsbildung hatte Netanjahu seinem einstigen Verbündeten Bennett das Amt des Regierungschefs in einem Wechselmodell angeboten, um eine "linke Regierung" in Israel zu verhindern. Bennett wies das Angebot aber zurück.
Präsident Reuven Rivlin beauftragte Anfang Mai dann Lapid mit der Regierungsbildung. Dem von ihm angestrebten Bündnis soll auch die Liste Blau-Weiß von Netanjahus einstigem Regierungspartner Benny Gantz angehören. Hinzu kommt die laizistisch-nationalistische Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) von Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sowie die Partei Neue Hoffnung, die Arbeitspartei und die linksgerichtete Meretz-Partei.
Zudem wäre eine solche Regierung auf einige Stimmen aus dem Lager der arabisch-israelischen Parteien angewiesen, die sich bislang noch nicht eindeutig positioniert haben. Trotz der teilweise extrem gegensätzlichen Positionen der potenziellen Koalitionspartner sah die Politikwissenschaftlerin Gajil Talschir von der Hebräischen Universität Israel "näher als je zuvor" an einem solchen Bündnis. Die Frist zur Regierungsbildung läuft am Mittwoch kurz vor Mitternacht ab.
Die intensiven Verhandlungen über eine Ablösung Netanjahus, der seit zwölf Jahren an der Macht ist, folgen auf Wochen der Gewalt in Nahost. Nach elftägigen heftigen Raketenangriffen zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen war am Freitag vor einer Woche eine Feuerpause in Kraft getreten. Diese wurde vor allem von Ägypten vermittelt, aber auch die USA und andere Staaten wirkten im Hintergrund mit.
Israels Außenminister Gabi Aschkenasi beriet am Sonntag in Kairo mit seinem ägyptischen Amtskollegen Sameh Schukri über eine dauerhafte Waffenruhe im Gazastreifen, während Netanjahu sich in Jerusalem mit dem ägyptischen Geheimdienstchef Abbas Kamel traf. Kamel besuchte auch das von Israel besetzte Westjordanland und sprach dort mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.
by Von Michael BLUM