Nachdem in der Vorwoche ein Flugzeug von Ryanair zu einer Notlandung im weißrussischen Minsk gezwungen worden war, und dort dann ein Regimegegner des weißrussischen Diktators Lukaschenko verhaftet worden war, ist es nun erneut zu einem Eingriff in die Luftfahrt gekommen. Diesmal wurde ein Oppositioneller des russischen Präsidenten Putin in Sankt Petersburg aus einem bereits zur Startbahn rollenden Jet der polnischen Fluglinie LOT geholt. Erst nach diesem Vorfall erhielt das Flugzeug dann seine Starterlaubnis.
Der jetzt bekannt gewordene Fall weißt zahlreiche Paralellen zur Entführung des weißrussischen Bloggers Roman Protasewitsch (26) auf, der vor gut einer Woche in Minsk aus einem zur Landung gezwungenen Flugzeug geholt worden war. Bei diesem neues Skandal war am Montag um kurz nach 18 Uhr der russische Oppositionelle Andrej Piwowarow vom russischen Geheimdienst FSB in der Boeing 737-800 der polnischen Linie LOT festgenommen worden. Der Oppositionelle wollte eigentlich nach Warschau in den Urlaub fliegen. Vor der Verhaftung soll die Maschine bereits auf dem Weg vom Terminal zur Startbahn gewesen sein. Dann jedoch wurden die Piloten angewiesen auf eine der Außenpositionen des Flugplatzes zu rollen. Dort konnte der FSB dann in den Flieger eindringen, der in Russland auch für den Grenzschutz zuständig ist. Die Beamten holten
Piwowarow aus der Maschine und brachten ihn zum Verhör. Erst um 20:07 Uhr durfte die polnische Maschine dann abheben. Allerdings ohne den eingescheckten und vom Zoll abgefertigten Fluggast.
Am Dienstag wurde dann auch bekannt, was Andrej Piwowarows von den russischen Behöerden vorgeworfen wird. Er soll in einem Facebook-Post eine oppositionelle Wahl-Plattform beworben haben. Aus diesem Grund wurde Piwowarov 1.700 Kilometer bis ins südrussische Krasnodar gebracht, wo ihm nun ein politisch motivierter Prozess gemacht werden wird. “Wegen des Reposts stürmten sie für Andrej das Flugzeug, führten ein nächtliches Verhör und eine Durchsuchung durch und brachten ihn nach Krasnodar“, fasst Aktivistin Tatjana Usmanowa bei Twitter die Vorfälle zusammen. Zuvor hatte sich Piwowarov allerdings auch zum Fall des weißrussischen Bloggers Roma Protasewich und seiner russischen Freundin Sophia Sapega geäussert. Dort hatte Piwowarov die Nähe zwischen Putin und dem weißrussischen Diktator Lukaschenko kritisiert. “Putin hat Lukaschenko am Freitag nicht nur 500 Millionen Dollar gegeben, sondern auch deutlich gemacht, dass es für ihn akzeptabel ist, wenn Russen von befreundeten Diktatoren ins Gefängnis geschickt werden“, hatte Piwowarov bei Twitter geschrieben.
Nach Luftfahrtjournalist Jakob Wert von aeroTELEGRAPH.com sei nicht ganz klar, ob Russland mit der Stoppung eines zur Startbahn rollenden Flugzeugs gegen internationale Luftfahrtregeln verstoßen habe. “Ob es sich um einen illegalen Eingriff handelte, wird gerade noch von Polen untersucht“, erklärte Wert. Trotzdem sei der Vorfall besorgniserregend. “Wenn Regierungen es einmal zu ihrem ‚Standard‘ machen, derart in den internationalen Flugverkehr einzugreifen, um ihre Kritiker festzunehmen, dann ist leider zu befürchten, dass dies nicht die letzten Vorfälle waren.“ Auch aus Polen gab es scharfe Kritik an dem Vorfall. Vor allem da die Maschine offenbar willkürlich gestoppt worden war. “Offensichtlich wurde Piwowarow vom FSB verfolgt und sie hätten ihn jederzeit auf dem Weg zum Flughafen, am Flughafen oder beim Überqueren der Grenze festnehmen können, aber sie beschlossen, dies zu tun, während er bereits im Flugzeug war“, äussert ein polnischer Luftfahrtexperten, der glaubt, dass es sich dabei um ein Zeichen an die Welt handele: “Wir haben es in Minsk getan, und wir können es überall tun.“
FDP-Politikerin Renate Alt sieht in diesem Vorgehen ebenfalls Paralellen zum Fall in Weißrussland und fordert dehalb Konsequenzen für die russische Regierung. “Die spektakuläre Verhaftung von Andrej Piwowarow ähnelt eher einer Geiselnahme, als einer Verhaftung“, verdeutlicht die Expertin für Außenpolitik. “Die Ähnlichkeit dieser Aktion mit der Festnahme von Protasewitsch in Weißrussland ist unübersehbar. Mit Lukaschenko als Rammbock testet Putin aus, wie weit er gehen kann. Der Opposition soll damit vor Augen geführt werden, dass sie nie und nirgendwo sicher sein kann“, glaubt Alt. Nun sei es Pflicht der EU und der Bundesregierung Konsequenzen aus dem russischen Vorgehen zu ziehen. Die EU “sollte oppositionellen Aktivisten aus Russland schleunigst Asyl anbieten“, forderte Alt deshalb und ging sogar noch weiter: “Die Bundesregierung muss Nord Stream 2 endlich auf Eis legen. Es ist nicht verantwortbar, das Projekt angesichts der jetzigen Menschenrechtslage in Russland weiterzuführen.“