Mit rund zweistündiger Verspätung hat am Dienstag mehr als neun Monate nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle an der Saale der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter Stephan B. begonnen. Dem 28-Jährigen werden unter anderem zweifacher Mord, mehrfacher Mordversuch und Volksverhetzung vorgeworfen. Die Verhandlung vor dem in Naumburg ansässigen Oberlandesgericht (OLG) von Sachsen-Anhalt findet wegen der verschärften Sicherheitsvorkehrungen und aufgrund des großen Medienandrangs im Landgericht Magdeburg statt und begann mit der Verlesung der Anklage.
Der für 10.00 Uhr geplante Prozessbeginn verzögerte sich um fast zwei Stunden. Die Sicherheitskontrollen verliefen nicht so zügig wie geplant, so dass viele Journalisten und Besucher stundenlang vor dem Gerichtsgebäude warten mussten.
B. wurde in Hand- und Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt. Drei bewaffnete und vermummte Justizbeamte bewachten ihn. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch aus einem Gefängnis in Halle Ende Mai steht er unter verschärfter Bewachung. Die Handfesseln wurden ihm später abgenommen, auch während der Verhandlung muss B. aber Fußfesseln tragen.
Der Angeklagte schaute direkt in die Kameras und ließ ein Blitzlichtgewitter über sich ergehen. Seine Mimik war zunächst nicht zu erkennen, weil er einen Mundschutz trug, den er später abnahm. Er erschien in Jeans, schwarzem T-Shirt und schwarzer Jacke wie mit kahl geschorenem Kopf vor Gericht.
B. soll am 9. Oktober vergangenen Jahres während der Feierlichkeiten zum jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht haben, bewaffnet in die Synagoge in Halle einzudringen und die dort versammelten Menschen zu töten. Als ihm dies nicht gelang, erschoss B. laut Anklage auf offener Straße eine zufällig vorbeilaufende Passantin, drang anschließend in einen Dönerimbiss ein und tötete dort einen Mann.
Auf seiner Flucht durch den Saalekreis verletzte er zwei weitere Menschen schwer, bis er schließlich nach einem Unfall festgenommen werden konnte. Seine Taten filmte der mit mehreren Waffen und Sprengstoff ausgerüstete B. und stellte die Aufnahmen live ins Netz. Die rechtsextremistische Gewalttat löste in Deutschland und weltweit Entsetzen aus.
Laut der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft handelte B. aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus. Er habe "möglichst viele" der in der Synagoge versammelten 52 Menschen töten wollen.
Nach der für den ersten Prozesstag geplanten Verlesung der Anklage hat B. die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern, was er auch ankündigte. In den Vernehmungen hatte er zuvor umfänglich gestanden. Die Vorsitzende Richterin plante außerdem, das Video zu zeigen, das B. von seinen Taten aufgenommen hatte.
Für das Verfahren sind zunächst 18 Verhandlungstermine bis Mitte Oktober vorgesehen. Insgesamt 43 Nebenkläger, darunter Angehörige der Opfer und Mitglieder der jüdischen Gemeinde, werden im Prozess von insgesamt 21 Anwälten vertreten. Insgesamt wurden 147 Zeugen benannt, davon 68 Ermittlungsbeamte.
by Von Andrea HENTSCHEL