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Protestmarsch von Tel Aviv nach Jerusalem gegen Justizreform gestartet

Aus Protest gegen die massiv vorangetriebene Umsetzung der umstrittenen Justizreform der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu haben mehrere hundert Menschen in Israel am Mittwoch einen mehrtägigen Marsch von Tel Aviv nach Jerusalem begonnen. Angesichts der voranschreitenden Reform sei es "Zeit für einen entschlossenen Schritt", sagte die Organisatorin Shikma Bressler. Derweil warnte US-Präsident Joe Biden die israelische Regierung davor, die Justizreform im Eiltempo durchzudrücken.

"Wir werden Jerusalem am Samstagabend erreichen und Zelte an der Knesset aufstellen", sagte der High-Tech-Mitarbeiter und Mitorganisator Mosche Radman über den kurzfristig angekündigten, 70 Kilometer langen Protestmarsch. 

Nach einer Pause während der heißesten Stunden des Tages brachen die mit Wasserflaschen und Sonnenschirmen ausgestatteten Demonstranten, israelische Flaggen schwenkend, am frühen Mittwochabend gegen 17.30 Uhr (Ortszeit) wieder auf, wie ein AFP-Reporter berichtete. Am Sonntag stimmt das israelische Parlament in zweiter und dritter Lesung über eine wichtige Klausel der Reform ab.

Die Reform zielt darauf ab, die Befugnisse der Justiz und des Obersten Gerichts einzuschränken und die Stellung des Parlaments und des Ministerpräsidenten zu stärken. Die Demonstranten werfen der Regierung vor, damit die unabhängige Justiz des Landes schwächen zu wollen. Am Dienstag hatten Gegner der Justizreform zu einem landesweiten "Tag des Widerstands" gegen die Pläne aufgerufen und im ganzen Land Autobahnen, Bahnhöfe und wichtige Straßen blockiert.

In der vergangenen Woche hatte das israelische Parlament bereits einen der umstrittensten Bestandteile der Reform, die sogenannte Angemessenheitsklausel, in erster Lesung gebilligt. Damit soll dem Obersten Gericht künftig die Möglichkeit entzogen werden, Regierungsentscheidungen als "unangemessen" einzustufen. Kritiker fürchten eine willkürliche Besetzung hochrangiger Regierungsposten sowie eine Begünstigung von Korruption. 

Seit Jahresbeginn demonstrieren immer wieder zehntausende Menschen gegen das Vorhaben. Die Proteste werden von breiten Teilen der Gesellschaft unterstützt - über alle Unterschiede hinweg: Liberale und konservative Israelis protestieren Seite an Seite, ebenso wie säkulare und religiöse Bürger. Armee-Reservisten sehen in dem Vorhaben der Regierung ebenso eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie in Israel wie Friedensaktivisten, Arbeiter und Angestellte der Tech-Branche.

Dutzende Reservisten der israelischen Armee unterzeichneten am Mittwochabend in Tel Aviv eine Erklärung, der zufolge sie aus Protest gegen die Justizreform "den freiwilligen Dienst verweigern".

Das Vorhaben und das Tempo seiner Umsetzung stößt auch im Ausland auf Kritik, insbesondere in den USA, Israels wichtigstem Verbündeten. US-Präsident Joe Biden forderte die israelische Regierung am Mittwoch mit ungewöhnlich deutlichen Worten auf, das Vorhaben nicht zu "überstürzen". 

"Konsens in kontroversen Politikbereichen zu finden bedeutet, sich die Zeit zu nehmen, die es braucht", sagte Biden dem Kolumnisten Thomas Friedman von der "New York Times". "Für große Veränderungen ist das unverzichtbar. Deswegen ist meine Empfehlung für die israelischen Verantwortlichen, nicht zu eilen."

Bidens Äußerungen wurden vor einer Rede des israelischen Staatschefs Isaac Herzog vor dem US-Kongress am Mittwoch veröffentlicht. Herzog, der im Streben nach einem Kompromiss monatelang zwischen der Regierung und der Opposition vermittelt hatte, sprach dabei von einer "intensiven Debatte" in seinem Land. Sie sei der "beste Beweis für die Stärke der israelischen Demokratie". 

"Obwohl wir mit schmerzhaften Problemen zu kämpfen haben, weiß ich genau wie Sie, dass unsere Demokratie stark und unverwüstlich ist", sagte er. Die Demokratie sei "in Israels DNA verankert".

kas/ma