Den zehnten Tag in Folge haben die Menschen in Belarus gegen die angebliche Wiederwahl von Langzeit-Präsident Alexander Lukaschenko demonstriert. Hunderte Menschen versammelten sich am Dienstag vor dem Gefängnis in der Hauptstadt Minsk, in dem der Ehemann von Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja, der bekannte Blogger Sergej Tichanowski, festgehalten wird. Anlässlich von Tichanowskis 42. Geburtstag sangen die Menschen "Happy Birthday". Aus ihrem litauischen Exil richtete sich Tichanowskaja in einer Videobotschaft an ihre Anhänger, in der sie ein "verdorbenes System" in Belarus anprangerte.
Vor dem Haftzentrum "Nummer eins" in Minsk forderten die Demonstranten am Dienstag Tichanowskis Freilassung. Die Menschen klatschten und hielten Blumensträuße in den Händen sowie Luftballons - rote und weiße, die Farben der Opposition.
Der bekannte Youtuber Tichanowski wollte ursprünglich selbst bei der Präsidentschaftswahl kandidieren. Nach seiner Festnahme inmitten des Wahlkampfs im Mai trat seine Frau an seiner Stelle an. Die Behörden werfen Tichanowski Gewalt gegen einen Polizeibeamten sowie die Organisation von Massenunruhen vor. Außerdem wird er beschuldigt, mit russischen Söldnern zusammengearbeitet zu haben.
Tichanowskaja kritisierte in ihrer Videobotschaft, ihr Mann müsse seinen Geburtstag im Gefängnis verbringen und werde eines Verbrechens beschuldigt, "das er nicht begangen hat". Die "eklatante Rechtlosigkeit und Ungerechtigkeit" in Belarus verdeutlichten, "wie dieses verdorbene System funktioniert, in dem ein Mensch alles kontrolliert, ein Mensch, der diesem Land seit 26 Jahren Angst macht, ein Mensch, der den Belarussen ihre Wahl genommen hat", fügte sie mit Blick auf Lukaschenko hinzu.
Tichanowskaja war nach der umstrittenen Wahl am 9. August nach Litauen geflohen. Laut dem offiziellen Wahlergebnis war der seit 26 Jahren autoritär regierende Lukaschenko bei der Abstimmung mit rund 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden, auf Tichanowskaja sollen demnach nur rund zehn Prozent entfallen sein. Die Opposition spricht von massivem Wahlbetrug, auch in der EU bestehen erhebliche Zweifel an dem Ergebnis.
Seit mehr als einer Woche gibt es in Belarus Massenproteste mit zehntausenden Teilnehmern, die Lukaschenkos Rücktritt verlangen. Sicherheitskräfte gingen zum Teil äußerst brutal gegen die Demonstranten vor, tausende Menschen wurden vorübergehend festgenommen. Zahlreiche Menschen berichteten nach ihrer Freilassung über Folter und Misshandlungen in der Haft.
Am Mittwoch beraten die EU-Staats- und Regierungschefs in einem außerordentlichen Video-Gipfel über die Lage in Belarus. Wegen des brutalen Vorgehens gegen die friedlichen Demonstranten hatten die EU-Außenminister am vergangenen Freitag Sanktionen gegen die belarussische Führung auf den Weg gebracht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte die Gewalt gegen Demonstranten in Belarus am Dienstag in einem Telefonat mit Russlands Staatschef Wladimir Putin. In dem Gespräch habe Merkel unterstrichen, dass die Führung in Minsk auf Gewalt gegen friedliche Demonstrierende verzichten müsse, erklärte ihr Sprecher Steffen Seibert in Berlin. Außerdem müssten politische Gefangene in Belarus unverzüglich freikommen und die belarussische Regierung in einen nationalen Dialog mit Opposition und Gesellschaft eintreten.
Auch EU-Ratspräsident Charles Michel telefonierte am Dienstag mit Putin, wie er im Kurzbotschaftendienst Twitter bekanntgab. "Nur durch einen friedlichen und inklusiven Dialog kann die Krise in Belarus beigelegt werden", schrieb Michel.
Moskaus Einfluss in Belarus ist groß. Die beiden Länder pflegen engste wirtschaftliche und militärische Beziehungen. Angesichts der Massenproteste hatte Lukaschenko Putin um Unterstützung gebeten, der Kreml erklärte seine Bereitschaft zur Unterstützung - laut dem Kreml-nahen Sender RT bei "militärischer Bedrohung von außen". In den vergangenen Jahren war das Verhältnis zwischen Lukaschenko und Putin zunehmend angespannt.
by Von Tatiana KALINOVSKAYA